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Interview mit zwei Resnais-Schauspielern: Koffer fürs Leben

Sabine Azéma und Pierre Arditi über das Ufo Resnais und die Tricks der Regisseure

Sabine Azéma (57) und Pierre Arditi (62) spielten in vielen Filmen des heute 84-jährigen Alain Resnais. Pierre Arditi wirkte erstmals bei „Mein Onkel in Amerika“ (1980) mit, Sabine Azéma stieß bei „Das Leben ist ein Roman“ 1983 hinzu. Seitdem sind sie gemeinsam in mal theatralen, mal musikalischen, oft komödiantischen und immer hintersinnig-philosophischen Resnais-Filmen aufgetreten: in „L’amour à mort“ (1984), „Mélo“ (1986), „Smoking / No Smoking“ (1993), „Das Leben ist ein Chanson“ (1997) und „Pas sur la bouche“ (2003).

Sie beide sind viel beschäftigte Schauspieler. Aber die Filme, in denen Sie für Alain Resnais vor der Kamera standen, überstrahlen alles. Eigentlich sind Sie Wesen aus dem Resnais-Universum, oder?

ARDITI: Ich arbeite seit 27 Jahren mit ihm, das ist eine enorme Strecke Leben. Aber Resnais ist viele Universen: Da steigt man nicht in die immerselben Pantoffeln. Sondern nimmt eine Art Wette an, die die ganze Fantasie herausfordert.

AZEMA: Bei keinem Regisseur fühle ich mich so einverständig, wie mit einem Freund. Auf dem Set fühle ich mich wohl.

Wie war Ihre erste Begegnung mit ihm?

ARDITI: Ich war Mitte dreißig und schon ganz gut im Geschäft. Er kam ins Theater, um mich spielen zu sehen. Danach schlug er mir eine Rolle in „Mein Onkel aus Amerika“ vor. Unter drei Bedingungen: Ich sollte das Drehbuch lesen, es sollte mir gefallen, und – das fiel mir damals richtig schwer – ich sollte mir die Haare schneiden lassen. Ich sagte ihm: Für Sie darf’s auch eine Glatze sein.

AZEMA: Ich war als Schauspielerin noch eine Anfängerin. Das Mädchen in „Das Leben ist ein Roman“ war exakt die Art Rolle, die ich spielen wollte. Aber diese Frische, diese reine Liebe kann man nicht ewig spielen. Später, in „L’amour à mort“, auch in „Mélo“: Da war ich eine Frau.

Jetzt haben Sie aber noch gar nicht von Alain Resnais gesprochen.

AZEMA: Das fing sehr beiläufig an, ich rechnete mit einer winzigen Rolle. Aber ich spürte gleich, ich wollte in sein Kielwasser. Ich brauche Vorbilder, ich brauche Leuchttürme. Ich war damals so zerbrechlich, hatte oft lähmendes Lampenfieber. Jetzt macht mir das Kino keine Angst mehr, das liegt an Resnais, der meine Verspanntheit aufgelöst hat. Und an Pierre.

ARDITI: An mir? Ich hab doch gar nichts gemacht.

AZEMA: Eben. In meiner ersten Szene in „Das Leben ist ein Roman“ sollte ich schreien. Ich war so aufgeregt: Die erste Szene ist entscheidend. Und Pierre war einfach da. Dabei können junge Schauspieler einen ganz schön einschüchtern.

Mit Resnais bilden Sie seit einem Vierteljahrhundert ein Trio amical. Da gab es bestimmt auch schwierige, harte Momente.

ARDITI: Mit Resnais nie. Nie.

AZEMA: Nie.

ARDITI: Nicht mal Ärger.

AZEMA: Nein, wir atmen einfach. Wir atmen frei. Das ist unser Leben.

Manche Regisseure quälen ihre Schauspieler, um mehr für ihren Film herauszuholen.

ARDITI: Es gibt zwei Sorten von Regisseuren, die Vergewaltiger und die Diebe („violeurs“ und „voleurs“). Die Vergewaltiger reißen aus uns heraus, was sie brauchen. Von ihnen lernt man nichts. Resnais dagegen ist ein Dieb. Er holt aus einem Dinge heraus, von denen man selber gar nichts weiß. Nachher öffnet er die Hand und sagt: Das gehört Ihnen, tun Sie es in Ihren Koffer, fürs nächste Mal. Stück für Stück füllt sich dieser Koffer, mit dem wir durchs Leben gehen. Der Koffer der Leute, die mit „violeurs“ arbeiten, ist leer.

Sie haben zusammen nicht nur mit Resnais gearbeitet, mit Gérard Oury etwa oder Bruno Podalydès. Fremdelt man dann?

ARDITI: Resnais ist eine Welt für sich. Resnais ist ein Ufo. Seine Filme sind so unvergleichlich wie seine Arbeitsweise.

AZEMA: Anderswo ist man sowieso jemand anderer. Als ich mit André Dussollier in „Tanguy – Der Nesthocker“ spielte, war er nicht der Resnais-André, und auch ich war in einem völlig verschiedenen Register. Aber nach solchen Erfahrungen kehren wir gern zurück. Jetzt sind wir sogar zu dritt in „Herzen“. Für mich war das noch nie so schön wie diesmal, mit André – und mit dir, Pierre.

ARDITI: So lange gehen wir jetzt schon zusammen durchs Leben. Mein Verhältnis zu Sabine ist schnell sehr intim geworden, ich meine das jetzt sehr präzis und nicht beruflich. Nein, nicht so, wir hatten keineswegs ein Verhältnis ...

AZEMA (lacht)

ARDITI: … aber wir sind sehr vertraut, wir wissen viel Persönliches voneinander. Das schafft eine tiefe Nähe, auch wenn wir uns drei, vier Monate nicht sehen. Diese Nähe spiegelt sich auch in der Arbeit wider. Wenn wir den anderen noch überraschen wollen, dann müssen wir aber verdammt früh aufstehen!

In „Smoking/No Smoking“ spielten Sie immer auch eine Alternative der Handlung weiter. Im Leben dagegen muss man sich entscheiden. Wie sieht Ihre eigene nicht gespielte Karte aus?

ARDITI: Ich glaube, für mich hat sie nie existiert. Und wenn, dann würde ich heute eher an die Karten denken, die ich nicht mehr spielen werde.

AZEMA: Es gibt so Tage, da fängt man bei null an. Aber vielleicht liegt das in der Natur der Schauspielerei: dass man immer jemand anderer sein kann, und sei es nur zum Spiel. So viele Identitäten, so viele Berufe, so viele Lieben.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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