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„Ein seltener Fang“, Skulptur von Ernst Gustav Herter, 1896, am Fuße des Wasserfalls im Viktoriapark nach einer Umgestaltungs-Aktion.

© Tagesspiegel/Corinna von Bodisco 

Kolumne „Berliner Trüffel“, Folge 40: Die ermächtigte Nixe am Kreuzberger Wasserfall

Seit mehr als 120 Jahren steht im Viktoriapark ein Figurenensemble. Eine Nixe ist in das Netz eines Fischers geraten. Doch seit einiger Zeit scheint es so, als wehre sie sich.

Eine Kolumne von Corinna von Bodisco

Seit 1896 steht am Fuße des Wasserfalls im Viktoriapark eine Skulptur von Ernst Gustav Herter. Viele Tourist:innen lassen sich daneben fotografieren. Zu sehen ist ein großer, bemuskelter, bärtiger Mann. In seinem Fischernetz, das er offenbar gerade aus dem Wasser zieht, hat sich eine Frau mit Fischschwanz verfangen. Ein „seltener Fang“ – und so heißt die Skulptur auch.

Beide Figuren schauen überrascht oder sogar erschreckt. Die Nixe windet sich und stemmt sich mit einer Hand aus dem Griff des Fischers weg. Sie ist nackt, ihre Vulva ist von einigen Blättern bedeckt. Ist das nur eine unerwartete Begegnung zwischen Mensch und Fabelwesen, eine romantische Szene? Oder könnte es auch um Gewalt gehen?

Seit einiger Zeit wird die Statue regelmäßig umgestaltet. Dann trägt der Fischer zum Beispiel ein Plakat um den Hals – „Kunst oder sexualisierte Gewalt“ – steht darauf. Ein anderes Mal durchbohrt ein Pfeil des Fischers Stirn. Die Nixe hält den dazugehörigen Bogen. Mit diesen Instrumenten scheint es so, als würde sie sich wehren.

Geht es hier um Gewalt?

Hinter den Aktionen steckt unter anderem eine Initiative, die sich „Nixen- und Meerfrauen*solidarität“ nennt. Warum sie das machen? „Wir finden, dass die Skulptur sexualisierte Gewalt ästhetisiert und als etwas Normales darstellt“, sagt eine der Aktiven. In anderen Worten: Die Statue zeige eine Nixe in einer vulnerablen Situation und stelle diese als etwas Schönes dar.

Allerdings sei die Situation auch nicht eindeutig, die Skulptur ließe sich auf verschiedene Weise interpretieren. In der Zeit, in der das Kunstwerk entstand, waren Wassermänner mit nackten Frauen oder Nixen ein gängiges Motiv von Bildhauern. Das zeigt etwa „Meeresgrund“ (1907) am Karpfenteich im Treptower Park oder die „Kleine Meerjungfrau“ (1913) in Dänemark, Kopenhagen.

„Umso wichtiger ist es, das Kunstwerk zu kommentieren. Damit die Menschen es hinterfragen“, finden die Aktiven. Die Skulptur zu entfernen, darum gehe es den Umgestalter:innen nicht. Doch sie wünschen sich eine Art Kommentierung und eine Diskussion. Unterstützung bekam die Initiative von der Grünen-Fraktion, die eine kritische Kontextualisierung der Skulptur forderte. Passiert ist bisher noch nichts.

Die Jahrhundertwende war zudem eine Zeit, in der andere gesellschaftliche Rollenbilder galten als heute. Frauen durften weder über sich selbst bestimmen, noch am politischen Leben teilnehmen. Der Diskurs zeigt also auch, dass sich die Interpretation von historischen Kunstwerken im Laufe der Zeit verändern kann. Manchmal machen die Kunstwerke selbst in Form von Pfeil und Bogen darauf aufmerksam.

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