zum Hauptinhalt
Der Müggelsee wird zur Bühne einer vieldeutigen und erhabenen Performance.

© Mayra Wallraff

„Kranetude“ am Müggelsee: Spektakuläre neue Performance von Florentina Holzinger

Undinen tauchen auf: Mit einem Kran, einer Band und einer Performerinnen-Gruppe inszeniert Florentina Holzinger im Strandbad Friedrichshagen eine vieldeutige Show.

Wer Florentina Holzingers grandiose Show „Ophelia’s got Talent“ in der Berliner Volksbühne gesehen hat, musste eigentlich davon ausgehen, dass zum Thema Wasser alles gesagt –beziehungsweise: performt – ist. Entfesselungskünstlerinnen in transparenten Bassins, Tauchchoregrafien im Synchronmodus und schließlich der kollektive Ritt auf einem in der Luft schwebenden Helikopter: Der Abend sprudelt, um im Element zu bleiben, nur so über vor spektakulären Ideen und luziden Bildern. Sollte da ernsthaft noch unbearbeitetes künstlerisches Terrain übriggeblieben sein?

Im Florentina-Holzinger-Universum schon! Im Seebad Friedrichshagen am Müggelsee lud die Choreografin jetzt zu einem reichlich halbstündigen Open-Air-Happening, in dessen Zentrum – neben vier Drummerinnen, einer Dirigentin und acht Performerinnen – ein Kran steht. Eigentlich hat es bereits Kunstwerkscharakter, wie dessen Arm in den Abendhimmel ragt, während das Publikum am Seebad-Strand lässig im Sand hockt und die Musikerinnen ihre Plätze an den wassernah aufgebauten Drums einnehmen.

Die Performance-Qualitäten der Dirigentin Sibylle Peter, die die wunderbar kitschfreien Sphären-Klänge der Komponistin Katharina Ernst dirigiert – knietief im Wasser stehend und in einer seltenen Mischung aus Hyperenergie und Selbstversunkenheit am Taktstock agierend – wären ebenfalls schon allein abendfüllend.

Aber dann bewegt sich der Kranarm und zieht langsam – aus der Tiefe des Sees – einen Stahlkranz in die Höhe, an dem, bäuchlings, sieben Frauen hängen: Gut möglich, dass der romantische Topos vom „Schaurig-Schönen“ überhaupt noch nie in ein treffsichereres, polysemantischeres Bild gefasst wurde.

Man kann hier tatsächlich sämtliche Sirenen, Undinen, Melusinen – und weiblichen Wasserleichen – assoziieren, die der Kanon hervorgebracht hat und einmal mehr die Souveränität bewundern, mit der Holzinger und ihre Performerinnen sich derartige Motive aneignen und in aller Beiläufigkeit umdeuten.

Ein Grundthema der Choreografin kommt in diesem Umfeld besonders gut zur Geltung. Schon immer setzt sich bei Florentina Holzinger ja der (auch diesmal nackte) Frauenkörper ins Verhältnis zur Technik auf der einen und den vier Elementen auf der anderen Seite: „Tanz“ war der Abend der Luftgeister, „A Divine Comedy“ – die Höllenperformance nach Dante – thematisierte das Feuer, „Ophelia’s got Talent“ das Wasser. Dieses Spannungsverhältnis potenziert sich hier, im Naturbad, noch einmal und erreicht neue Dimensionen der Vieldeutigkeit wie der Erhabenheit.

Natürlich wäre Holzinger nicht Holzinger, wenn sie nicht noch jede Menge anderer Showelemente aufführe: Jetskis cruisen auf dem See umher, Performerinnen schnellen delfinartig aus dem Wasser und tauchen wieder ab, und irgendwann hält unter dem Stahlkranz auch ein Boot, von dem aus eine weitere Performerin an einem Blechschild emporgezogen wird, mit dem sie in der Lauft ausdauernd kämpft.

Das Wunderbare an dieser „Kranetude“ ist, dass sie auf unglaublich vielen Ebenen funktioniert. Sie ist hohe Kunst – aber ohne Kunstzwang, man kann die Assoziationen bei Bedarf auch beiseite und das Happening einfach auf sich wirken lassen; die benachbarten Bootsstege sind voller faszinierter Spontanzuschauerinnen und -zuschauer.

Mit Holzingers Happening ging gleichzeitig das Festival „Leisure & Pleasure“ der Berliner Sophiensaele zu Ende, die den Abend koproduziert haben – und die Amtszeit ihrer langjährigen erfolgreichen künstlerischen Leiterin Franziska Werner. Würdiger hätte der Schlussakt tatsächlich nicht ausfallen können!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false