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Soundtüftler. Timothy Jose Hertz alias Objekt lebt seit zehn Jahren in Berlin.

©  Kasia Zacharko

Porträt des Elektromusikers Objekt: Kreaturen aus dem Rechner

Timothy Jose Hertz alias Objekt produziert zerklüftete Klanggebilde. Zum Jahresende legt er als DJ gleich in zwei Clubs auf.

Der Computer wird zum halbbiologischen Wesen. Hört man sich die neue Platte von Timothy Jose Hertz alias Objekt an, hat man das Gefühl, diese Science-Fiction-Vorstellung sei bereits Realität geworden. Die Musik auf Objekts zweitem Album „Cocoon Crush“ klingt so, als würde sich hier eine künstliche Intelligenz mitteilen wollen. Man glaubt, Atemgeräusche zu vernehmen, es zirpt wie in der freien Natur im Sommer und gleichzeitig klingt alles artifiziell. Genau diesen Höreindruck zu erzeugen, war auch das Ziel von Hertz. „Ich wollte, dass die Musik lebendig klingt. Dass man denkt, man hört eine lebendige Kreatur, die gleichzeitig künstlich ist. Es soll verwirrend sein und fremdartig.“ Auf dem Cover der Platte sieht man ein Geflecht, das aussieht wie das Innere eines Organismus. Oder wie Kabel eines Computers, die sich unentwirrbar mit menschlichem Gewebe verbunden haben.

Hertz, den man in einem Café in Kreuzberg trifft, in der Nähe seines Studios, will mit diesem Albumkonzept nicht unbedingt aktuelle Diskurse über Künstliche Intelligenz reflektieren. Es sei ihm eher darum gegangen, die extreme Tüftelarbeit, die er in die Platte gesteckt habe, am Ende organisch und lebendig klingen zu lassen. „Die Musik ist komplex und voller klanglicher Details, sollte aber mehr als eine reine Soundshow sein.“

Ganze vier Jahre hat er an seinem Album gebastelt. Bis vor Kurzem arbeitete er noch halbtags als Software-Entwickler bei der Berliner Firma Native Instruments, die computerbasierte Instrumente produziert. Außerdem wird Hertz als DJ in der ganzen Welt gebucht. Während der Produktionszeit fand er dennoch so gut wie jede Woche Zeit, um an den Tracks zu feilen. Den Job bei der Software-Firma hat er inzwischen an den Nagel gehängt. Die Musik parallel dazu laufen zu lassen, sei einfach zu anstrengend geworden. Man hört der Platte den enormen Arbeitsaufwand an. Die Stücke verknoten sich immer wieder auf überraschende Art und Weise mit sich selbst, es knarzt und dröhnt, aber gleichzeitig klingt die Musik auch filigran und in gewisser Weise elegant.

In Japan geboren, in Belgien und England aufgewachsen

Seit zehn Jahren lebt Hertz inzwischen in Berlin. Wenn er zu der Bedienung im Café sagt „Ich hätte gerne einen grünen Tee“, klingt das schon nach relativ akzentfreiem Deutsch. Bevor der 31-Jährige nach Berlin gezogen ist, hat er in Birmingham gelebt. Sein biografischer Background hört sich ziemlich international an: „Mein Vater ist in Großbritannien geboren, aber in den USA aufgewachsen. Meine Mutter kommt von den Philippinen. Ich wurde in Japan geboren, bin im Alter von fünf Jahren nach Belgien gezogen und dann nach England.“ Und nun ist er auch noch Berliner.

Schon als Kind hat Hertz begonnen Klavier zu spielen, später Schlagzeug und Bass. Zuerst hat er sich in verschiedenen Bands versucht, eher erfolglos, wie er erzählt. Bis er die elektronische Tanzmusik für sich entdeckt hat. „Mit 20 bin ich dann das erste Mal nach Berlin geflogen, weil ich gehört hatte, die Stadt sei das Paradies für diese Art von Musik.“ Ein Jahr später ist er dann hierher gezogen.

Die Idee, abstrakte elektronische Musik zu produzieren, die organisch und künstlich gleichzeitig klingen soll, existiert schon eine ganze Weile. In den Neunzigern gab es eine Compilation-Reihe des englischen Elektroniklabels Warp mit dem programmatisch gedachten Titel „Artificial Intelligence“. Bekannte Acts aus dieser Reihe wie Autechre oder Aphex Twin sind sicherlich Inspirationsquellen für das, was nun auf „Cocoon Crush“ zu hören ist. Doch in seiner Radikalität weist Objekts Album über die Vorläufer hinaus. So wie sich die Künstliche Intelligenz in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt hat, ist das Klangdesign auf Objekts Platte noch raffinierter und zerklüfteter als bei dessen Ahnen.

Der König der Nacht wirkt ziemlich schüchtern

Angesichts der komplett untanzbaren Platten kann man sich eigentlich nur schwer vorstellen, dass Hertz komplementär zu seiner Tätigkeit als Produzent derart schwer erschließbarer Klänge auch noch als Club-DJ unterwegs ist. Außerdem wirkt er eher schüchtern und zurückhaltend – und nicht gerade wie jemand, der als König der Nacht seine Fäuste in Richtung Dancefloor streckt, um sein Publikum anzuheizen.

Doch Hertz sagt, für ihn seien beide Seiten wichtig. Und auch wenn man es nicht so sehr hören möge, habe er auch sein Leben als DJ auf seinem neuen Album reflektiert. Außerdem ist er unter seinem Künstlernamen Objekt auch nicht auf eine spezielle Musik festgelegt. Die Maxis, die er unter dem Namen veröffentliche, seien um einiges tanzbarer als das, was auf „Cocoon Crush“ zu hören sei.

Die Platte, so stellt er fest, müsse man sich letztlich auch als Spiegelung bestimmter persönlicher Stimmungen vorstellen. „Ohne jetzt zu persönlich werden zu wollen, lässt sich sagen, dass sie eine Art Soundtrack einer bestimmten Phase meines Lebens ist. Wenn du Musik machst, prägen sie immer Dinge, die gerade bei dir passieren.“ Und nicht alles verlief wohl perfekt in der Zeit, in der er das Album produziert hat, lässt Hertz durchblicken. Auch deswegen klinge „Cocoon Crush“ so düster, ja streckenweise klaustrophobisch.

Vielleicht war er aber während der Entstehungszeit auch zu oft zu lange in Berlin. Er möge die Stadt und überlege tatsächlich, ob er sich auch längerfristiger hier niederlassen solle, berichtet er. „Berlin wird anderen Großstädten immer ähnlicher und auch teurer. Gleichzeitig ist in den zehn Jahren, in denen ich hier lebe, auch das Essen und die Infrastruktur besser geworden.“ Und im Vergleich zu London, wohin zu ziehen er sich einmal überlegt hatte, sei es hier ja immer noch günstig. Doch eines muss er eben auch feststellen: „Die Winter in Berlin sind einfach der Horror. Wenn ich das ganze Jahr hier leben müsste, ohne verreisen zu können, wäre mir das echt zu hart.“

Zu seinem Glück muss Hertz das ja nicht. Über Weihnachten war er bei seinen Eltern auf den Philippinen. Und im Februar ist er auf DJ-Tour in Mexiko. Er wird den Berliner Winter überstehen.

„Cocoon Crush“ ist bei Pan erschienen. Objekt legt am 30.12. im Tresor auf und am 31.12. im Maze.

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