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Feministisch denken. Eva von Redecker

© Sophie Brand

Freude, Fürsorge, Gemeinschaft: Eva von Redeckers Freiheitsphilosophie

Eine Enttäuschung: Eva von Redeckers Überlegungen taugen nicht für die politische Debatte

Jemandes Freiheit endet erst dort, wo sie die Freiheit eines anderen beeinträchtigt. So lautet die Urformel des politischen Liberalismus. Für die Ordnung der Verhältnisse von Staat, Gesellschaft und Bürgern hat sie die längste Zeit beste Dienste geleistet. Nunmehr aber steht sie zur Disposition, kann unter Berufung auf sie doch jede Klimaschutzmaßnahme ad acta gelegt werden. Denn korrekterweise berührt ein Hausbesitzer heute nicht nachweisbar die Freiheit eines anderen, wenn er sich noch schnell eine neue Gasheizung einbauen lässt, doch natürlich gefährdet er damit die Lebensgrundlage späterer Generationen.

An diesem Konflikt setzt die Philosophin Eva von Redecker an. Mit ihrem neuen Buch erweitert sie den Freiheitsbegriff um eine zeitliche Dimension. Es geht in „Bleibefreiheit“ nicht mehr darum, dem Kollektiv oder dem Staat möglichst große Spielräume für den Einzelnen abzutrotzen, sondern um die Erhaltung und Gestaltung einer Zukunft, in der ein Mensch und die Menschheit als Ganze in Einklang mit einer möglichst großen Fülle an Leben existieren kann.

Das implizite Ziel besteht darin, der von Praxen des Verzichts, des Vermeidens und des Verbots dominierten Diskussion um Klimaschutz eine positive Perspektive der Freude, der Fürsorge und der Gemeinschaft entgegenzusetzen. Allerdings stellt sich die Frage, ob von Redecker den passenden Begriff gewählt hat. Es trifft zwar zu, dass die zeitgenössische Idee von Freiheit zutiefst von kapitalistischen Verhaltensweisen geprägt ist, dass sie auf Besitz und Mobilität beharrt, also kaum vereinbar ist mit der Notwendigkeit, anders zu wirtschaften und damit verbunden mit dem Ziel, zu überleben, zu bleiben.

Doch der alternative Weltumgang, den die Autorin dem entgegensetzt, lässt sich nur schwerlich mit Freiheit engführen. Letztlich bedeutet Klimaschutz für die meisten Menschen Verzicht im Hier und Jetzt. Soll ihnen letztlich die christlich grundierte Lehre untergejubelt werden, sie mögen sich im Diesseits bescheiden, um Glück in einer jenseitigen Zukunft zu erreichen?

Von Redecker nimmt diesen Einwand vorweg. Sie schlägt stattdessen, mit Bezug auf existenzialistische und feministische Denkerinnen, eine Art permanente Wiedergeburt vor, ein Leben, in dem sich der Einzelne in Verbindung zu anderen Menschen und zur Natur ständig neu entwirft. Die Zukunft beginnt also schon jetzt, ein alternatives Verständnis von Zeit liegt dem zugrunde. Es setzt der unerbittlichen Geradlinigkeit kapitalistischer Kumulation ein Denken entgegen, das sich dem zirkulären Verlauf des Lebens annähert.

Schön und gut, doch wie viel hat das mit jener gesellschaftlichen Mehrheit zu tun, deren Existenz davon abhängt, mit der bestehenden Dynamik Schritt zu halten? Müssten sie nicht zunächst tatsächlich befreit werden, um so etwas wie Bleibefreiheit überhaupt empfinden zu können? Es ist nicht so, dass von Redecker die sozial und ökonomisch Schlechtgestellen vergäße, sie verurteilt sogar sehr deutlich, dass arme Menschen früher sterben, also weniger Lebenszeit zur Verfügung haben. Als politischer Debattenbeitrag, und das möchte er durchaus sein, enttäuscht ihr Band gleichwohl.

Einige Aspekte erinnern an Hans Jonas, der Kants kategorischen Imperativ aktualisierte: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Redecker aber formuliert keine Ethik, sondern eher eine Philosophie des guten Lebens im Angesicht der Katastrophe. Reale gesellschaftliche Verhältnisse bekämpft sie mit den Mitteln romantischer Phantasie. So etwa, wenn sie den Generalstreik als mächtigsten Mittel der Veränderung beschwört und mit Verweis auf den Kapp-Putsch 1920 dessen ungeheure Wirkung beschreibt.

Der Vergleich zur derzeitigen Diskussion um das Klima und kapitalistische Ausbeutung von Natur und Mensch hinkt nicht nur, er hat weder Hand noch Fuß. Denn es ist, zumindest in der Bundesrepublik, keineswegs so, dass eine illegitime oder auch nur renitente Regierung gestürzt werden müsste, weil sie sich dem demokratischen Wählerwillen nach Lebensschutz verweigert.

Vielmehr sind große Teile der Gesellschaft nicht bereit oder eben gar nicht fähig, für die Erhaltung der Zukunft materielle Einbußen in der Gegenwart hinzunehmen. Von Redecker hat ihr Buch für einen anderen, sehr viel kleineren Teil geschrieben, und zwar ohne diesem luzide Argumente an die Hand zu geben, Andersdenkende zu überzeugen.

Wenn die Autorin einen Ort als Punkt beschreibt, an dem sich verschiedene Gezeiten verschränken (die eigene Zeit einer Mauer, blühender Birnbäume, der Frühlingssonne), oder wenn sie vom Glück schwärmt, in freien Stunden durch den eigenen Garten zu streifen und „den Duft der Bodenbakterien“ einzuatmen, wird nur allzu deutlich: Das hier ist gar keine politische, das ist poetische Philosophie.    

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