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Walter Gropius’ Meisterhaus in Dessau, fotografiert von Lucia Moholy.

© Foto: Lucia Moholy/Sammlung K, courtesy Galerie Derda Berlin /© VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Lucia Moholy und ihr fotografisches Werk : Die Frau, die das Bauhaus erst sichtbar machte

Das Berliner Bröhan-Museum würdigt das fotografische Werk von Lucia Moholy. Die Künstlerin stand lange zu Unrecht im Schatten ihrer männlichen Kollegen.

„Was wüssten wir heute vom Bauhaus ohne die Aufnahmen von Lucia Moholy?“, fragt Tobias Hoffmann im Katalog der Ausstellung, die unter dem Titel „Das Bild der Moderne“ das fotografische Werk von Lucia Moholy würdigt. In der Tat wüssten wir weit weniger, als seit Jahrzehnten geläufig ist: „Sie hat das Bauhaus überhaupt erst sichtbar gemacht und uns ein prägendes Bild dieser Schule hinterlassen.“

Bauhaus im Bröhan-Museum, das steht für die Öffnung, die Direktor Tobias Hoffmann an dem aus einer privaten Jugendstil-Sammlung hervorgegangen Landesmuseum betreibt. Während der mehrjährigen Schließung des Bauhaus-Archivs am Landwehrkanal aufgrund von Sanierung und Anbau füllt das Charlottenburger Haus eine schmerzliche Lücke. Freilich hat das Bauhaus-Archiv selbst sich bereits mit dem fotografischen Œuvre von Lucia Moholy befasst, allerdings vor 27 Jahren.

Die 1989 mit 95 Jahren verstorbene Lucia Moholy hatte dem Bauhaus-Archiv ihren Nachlass vermacht, darunter die Negative, die sie erst nach langen Mühen zurückerhalten hatte. Auch das gehört zur Geschichte dieser lange verkannten Fotografin - dass ihre Arbeit von Dritten benutzt wurde, ohne deren Eigenwert je zu würdigen.

Das ist lange vorbei, und so kann die Ausstellung des Bröhan-Museums, die übrigens ohne eine einzige Leihgabe des Bauhaus-Archivs auskommt, bereits bestehende Einsichten vertiefen. Sie tut das, indem sie stärker als je zuvor den Blick auf die fotografischen Mittel lenkt, die die erst nach der Heirat mit dem Multitalent László Moholy-Nagy im Jahr 1921 zur Fotografie gekommene Lucia Moholy einsetzt. Sie war durchaus keine bloße Dokumentaristen.

„Lucia Moholys Arbeiten sind alles andere als sachlich und funktional, genau wie die Gestaltung am Bauhaus in dieser Phase der Schule (1923-1927) nicht sachlich und funktional war“, hebt Tobias Hoffmann im Katalog hervor. In der exzellent gestalteten Ausstellung sind charakteristische Aufnahmen sowohl in kleinen Originalabzügen als auch in wandfüllenden Vergrößerungen zu sehen und machen den gestaltenden Blick der Fotografin deutlich.

Lucia Moholy fotografierte auch den Schachtisch von Heinz Nösselt mit Figuren von Josef Hartwig, 1924.

© Foto: Lucia Moholy/Private Collection Netherlands, courtesy Galerie Derda Berlin /© VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Die Künstlerin beherzigt, was der vielseitige László Moholy-Nagy in seinem berühmten, freilich von Lucia lektorierten Buch von 1925, „Malerei, Photographie, Film“, empfiehlt: „seltene Sichten, schräg aufwärts, abwärts, Verzerrungen, Schattenwirkungen“.

Diese Mittel verwendet sie auch, aber nicht nur. Auch eine Vielzahl strikt dokumentarischer Aufnahmen hat sie vom Schulgebäude und den sogenannten Meisterhäusern angefertigt, ganz im Sinne eines weiteren Diktums ihres Gatten, die Fotografie sei "die objektive Sehform unserer Zeit". Teils ließ Bauhaus-Direktor Walter Gropius daraus Postkarten erstellen, die das Bild der Lehranstalt in alle Welt trugen, teils dienten die Aufnahmen privater Erinnerung, etwa von Wassily Kandinsky und seiner Frau Nin, wohlanständig in Bauhaus-Mobiliar, oder von Paul Klee inmitten von Bildern in seinem Atelier.

Neben dem Gebäude fotografierte Lucia Moholy die Objekte, die in den Werkstätten geschaffen wurden. Die Tischlampe von Wilhelm Wagenfeld oder die Stahlrohrstühle von Marcel Breuer gelten heute als Inbegriff dessen, was das Bauhaus wollte. Doch daneben gab es kunsthandwerkliche Einzelstücke wie das Teeservice von Marianne Brandt, die keiner Serienfertigung zugänglich waren.

Unrechtmäßige Aneignung: Bauhaus-Direktor Gropius rückte Moholys Negative nicht mehr heraus

Dazu schreibt die in London lehrende Robin Schuldenfrei im Katalog: "Noch wichtiger war das fotografische Bild für die vom Bauhaus entworfenen Objekte, die zur Reproduktion bestimmt waren (...), die dies aber nicht erreichten, oft gerade wegen ihrer konservativen Materialeigenschaften (Luxusmaterialien, Handarbeit und so weiter). (…) Erst die breite fotografische Reproduktion ließ die Objekte selbst als moderne Massenware erscheinen - und so sind sie im Bauhaus-Mythos, den Gropius kultivieren konnte, in die Geschichte eingegangen."

Damit ist die Rolle von Bauhaus-Direktor Gropius angesprochen. Durch das fluchtartig angetretene Exil, zu dem Lucia aufgrund ihrer Beziehung zu einem KPD-Reichstagsabgeordneten gezwungen war, ging sie ihrer rund 600 Glasnegative verlustig, mithin ihrer gesamten Arbeit an und mit dem Bauhaus. Diese Negative gelangten in den Besitz von Gropius, der 1937 regulär in die USA auswanderte.

Gropius, und da wird die Geschichte übel, rückte die Negative auch dann nicht heraus, als Lucia ihm lange nach dem Krieg auf die Spur kam. Er hatte sie längst für die so ungemein prägende Bauhaus-Ausstellung in New York 1938 und von da an für weitere Publikationen genutzt, die seine Sicht auf Jahrzehnte hinaus befestigten.

„Schon früh in seiner Karriere nutzte Gropius bestimmte Fotografien, um für seine Bauten zu werben“, schreibt Robin Schuldenfrei: „Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass er die Moholy-Fotografien seines Dessauer Werks als etwas ,Eigenes’ betrachtete, insbesondere nachdem die Negative durch die historischen Umstände in seinen Besitz gelangt waren. (…) Die architektonische Urheberschaft erstreckte sich somit auch auf die Fotografie. Gropius weigerte sich nicht nur, Moholys künstlerisches Wirken bei der Erstellung der Bilder anzuerkennen, sondern auch die entscheidende Rolle der Fotografie in der Geschichte des Bauhauses im Allgemeinen.“

Diese „entscheidende Rolle“ der Fotografie von Lucia Moholy wird mit der jetzigen Ausstellung eindrucksvoll unterstrichen. Gewiss, es gab weitere Fotografen am Bauhaus, etwa Erich Consemüller oder Walter Peterhans, der überhaupt erstmals Fotografie in Dessau lehrten. Aber Lucias Fotografien bewahren in ihrer Gesamtheit das Dessauer Bauhaus so, wie es war, und mehr noch, wie es gesehen werden sollte. Es sind die Fotografien, in denen das Bauhaus fortbesteht, als sei es nie geschlossen worden.

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