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Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld als Ingeborg Bachmann und Max Frisch

© Wolfgang Ennenbach / MFA+ / Alamode Film

Margarete von Trottas Film über Ingeborg Bachmann: Durch das Nadelöhr der Liebe

Sie hat es gar nicht so schlecht gemacht: Margarethe von Trotta erzählt in „Reise in die Wüste“ das Leben der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.

Von Kerstin Decker

Das Telefon klingelt, sehr lange. Dann hören wir zum ersten Mal diese Stimme, leise, wie tastend und durchweht vom Verdacht, dass alle Kommunikation im Missverständnis endet. Dabei muss sie gar nicht viel sagen. Die Stimme der Ingeborg Bachmann flüstert ein „Ja?“ in den Hörer. Und dann hört sie ein Lachen, das wird immer lauter, trotz all ihrer nun folgenden Fragen: „Kommst du? Bist du schon in Europa?" Statt einer Antwort nur dieses Lachen, ein Männerlachen. Es geht durch sie hindurch, über sie hinweg. Es löscht sie aus. Dann das Erwachen in einem Krankenhausbett. Griff zur Zigarette, ein paar Schritte bis ans Fenster. Vor dem Fenster ist die Welt. Bis zur Welt schafft sie es nicht mehr.

Das ist die erste Szene von „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“. Vor 50 Jahren, am 17. Oktober 1973, starb die Dichterin in einem römischen Hospital. Sie war schon Ende September mit starken Brandverletzungen eingeliefert worden, die Ärzte wussten nichts von ihrer Tablettensucht, letztlich starb sie an Entzugserscheinungen.

Margarethe von Trotta, durch deren schöne, kluge Filme schon andere prägende Frauen – vornehmlich Intellektuelle wie Rosa Luxemburg und Hannah Arendt – in unser Breitwandgedächtnis eingewandert sind, hat sich nun Ingeborg Bachmann zugewandt. Wie wenige Dichter, Dichterinnen war dieses Kind einer Kärntner Bauernfamilie zugleich eine Intellektuelle, was ihre poetische Urgewalt nicht mindern konnte.

Vicky Krieps („Der seidene Faden“) ist Ingeborg Bachmann: ätherischer, zerbrechlicher anmutend als diese, auch sprach die Bachmann keineswegs so, als sei jedes ihrer Worte aus Glas. Dennoch fängt Krieps wohl den Grundgestus des Bachmannschen In-der-Welt-Seins ein. Größte Bestimmtheit in einer gefährdeten Hülle.

Aura der Einsamkeit

Sie stand exemplarisch für das Lebensgefühl derer, die unmittelbar nach dem Krieg jung waren: jung-alt gewissermaßen, gezeichnet von dem, was war, und doch plötzlich maßlos frei und begabt mit allen Organen des Genusses. Viele haben die Aura der Einsamkeit an ihr wahrgenommen, man hat sie gar ein "Weltwaisenkind" genannt. Und das fällt – neben all ihren Affären – in eine große Liebe.

Die jetzt einundachtzigjährige Regisseurin hat sich entschlossen, das Leben des "Weltwaisenkinds" durch das Nadelöhr der Liebe zu Max Frisch zu erzählen. Der aus-lachende Mann am Telefon war natürlich Frisch.

Briefwechsel mit Max Frisch

Im letzten Herbst ist der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch erschienen, „Wir haben es nicht gut gemacht“. Margarethe von Trotta kannte ihn noch nicht. Da fängt es schon an: Im Film hat Frisch (beinahe biedermännisch, sehr lebensbürgerlich: Ronald Zehrfeld) den aktiven, werbenden Part inne. Die Wahlrömerin müsse zu ihm nach Zürich kommen, er könne sonst nicht mehr schreiben. Das klingt ebenso egoistisch wie glaubhaft.

In Wahrheit hat jedoch wohl die Dichterin den Schriftsteller gekapert. Und der gab bald nach: „Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir, Du bist ein Meertier, das nur im Wasser seine Farben zeigt, Du bist schön, wenn man Dich liebt, und ich liebe Dich."

Solche Sätze sagt Zehrfelds Max Frisch im Film nie, dabei genügt schon dieser eine, um zu wissen, dass da zwei Menschen eine Welt miteinander bauen und bewohnen konnten, wie es nur wenigen gegeben ist. Leider nimmt uns „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ nicht mit in den Weltinnenraum dieser Liebe, dabei hätten bloße Worte – beider jeweils eigene – schon gereicht. Von Anfang an geht es um das Ende.

Frisch als Seelen-Mörder?

Ingeborg Bachmann hat sich vom Scheitern dieser Liebe nie mehr erholt, auch darum galt der Schweizer Erfolgsschriftsteller bis zum letzten Herbst als Seelen-Mörder der Dichterin. Das ist wohl zu korrigieren. Eine große Liebe zählt zu den letzten Refugien der Tragödie, hier greift kein Gut oder Böse, keine Schuldfrage, und das weiß zuletzt auch Trotta. Aber sie vergröbert Frisch im gleichen Maße, wie sie Ingeborg Bachmann zum ätherischen Wesen macht.

Tobias Resch und Vicky Krieps in dem Trotta-Film „Reise in die Wüste“

© Wolfgang Ennenbach / MFA+ / Alamode Film

„Wunderbar sind hingegen mitunter die Szenen aus dem Alltag zweier Schriftsteller. Vielleicht nur einmal im ganzen Film hebt Vicky Krieps wirklich die Stimme: „Weil deine Kalaschnikow mich wahnsinnig macht!“, begründet sie ihre Unfähigkeit, in seiner Gegenwart zu schreiben. Die Kalaschnikow ist Frischs hämmernde Schreibmaschine. Die Sätze suchen ihn freiwillig auf, er muss sie nur schnell genug festhalten mit dem einen Finger auf der Tastatur. Bei ihr ist das anders, auch fallen alle Wörter, die es durch die strengen Grenzkontrollen ihres Herzhirns schaffen, sofort unter Generalverdacht: Seid ihr wirklich die richtigen?

Über die Leinwand hinauswachsende Bilder

Margarethe von Trottas Bilder sind auch diesmal so groß, dass man den Eindruck hat, sie wachsen über die Leinwand hinaus. Das gilt insbesondere für die Parallelhandlung, die titelgebende Reise in die Wüste, in der Bachmann an der Seite eines jungen österreichischen Autors (Tobias Resch) den Versuch unternimmt, sich noch einmal wiederzufinden. "Nichts Schöneres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein", hatte sie gesagt.

Würde es noch einmal wahr werden? Bislang sah sie, wenn sie in den Spiegel blickte, nur eine unscharfe Silhouette. Doch die Figur der Frau, die ihr beim letzten Blick aus dem Busfenster in der Wüste entgegenkommt, wird immer klarer.

Nein, Margarethe von Trotta hat kein Talent, einen wirklich schlechten, trivialen, gleichgültigen Film zu drehen. Unbedingt sehenswert ist zumal die Garderobe der Bachmann, ein Fünfziger-Jahre-Kleid schöner als das andere. Und warum nicht gleich nach dem Kino in den Bachmann-Frisch-Briefwechsel schauen? Für Fortgeschrittene: Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ und Bachmanns „Malina“ wiederlesen und die Frage beantworten: War „Malina" wirklich die Antwort auf Frischs "Gantenbein"?

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