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„Prima Facie“ von Suzie Miller
 mit Mercy Dorcas Otieno

© Thomas Aurin

MeToo und ein Sieg der Moral: „Prima Facie“ im Deutschen Theater

Großes Solo in den Kammerspielen des DT: Mercy Dorcas Otieno zeigt Suzie Millers Gerichtsmonolog in deutschsprachiger Erstaufführung.

Ein Stück macht Furore. Suzie Millers „Prima Facie“, uraufgeführt 2019 in Sidney, Australien, kam bald danach im Londoner West End heraus und am Broadway in New York. Jetzt erreicht das MeToo-Drama die Bühnen hierzulande. Die deutschsprachige Erstaufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin intoniert auch den Einstand der neuen Intendantin Iris Laufenberg.

Und das ist eine gute Wahl. Unsere Theater sind ja nicht die schnellsten, wenn es um die Adaption frischer angloamerikanischer Texte geht. Das sogenannte well made play wird hier oft distanziert wahrgenommen: Das Regiepersonal kann sich da nicht so genial austoben wie bei Klassikern, Überschreibungen und Eigenkreationen. Dass es damit auch mal genug sein kann, hat die Eröffnungspremiere am DT gezeigt, Alexander Eisenachs Dünnbrettbohrung mit dem Titel „Weltall Erde Mensch“.

Die Beweislast liegt beim Opfer

Bei „Prima Facie“ herrscht ein hartes, irdisches Klima. Der juristische Fachbegriff bezeichnet den ersten Eindruck und Anschein einer kritischen Situation. In Vergewaltigungsprozessen geht das häufig zu Lasten der Opfer. Weil man den Frauen nicht glaubt, weil die Tat schwer zu beweisen ist - und das Opfer als Zeugin von der gegnerischen Partei ins Kreuzverhör genommen wird.

Suzie Miller arbeitete einige Jahre als Menschenrechtsanwältin und Strafverteidigerin, bevor sie für das Theater schrieb. Sie schöpft aus ihrer Erfahrung, misstraut dem Rechtssystem bei der Verfolgung sexualisierter Gewalt. Justiz und Drama: Zumal in den USA ist das ein eigenes Genre, und es verwundert nicht, dass „Prima Facie“ verfilmt werden soll.

Ein starker Monolog

Eine Frau, die ihren Vergewaltiger angezeigt hat, steht allein da vor Gericht. Daher die Form der Soloperformance: Mercy Dorcas Otieno ist neu im DT-Ensemble, und ihr Auftritt in der Kammer geht nahe. Die österreichisch-kenianische Schauspielerin, zuvor in Graz und Bochum engagiert, wirft sich mit großem, emphatischem Einsatz in diesen Kampf, der juristisch aussichtslos erscheint, aber aus persönlichen und politischen Gründen geführt werden muss.

Tessa Ensler - so nennt sich die Figur des Monologs - brilliert als Anwältin. Sie hat es aus einfachen Verhältnissen in eine Top-Kanzlei geschafft. Und sie ist eine exzellente Verteidigerin, weiß die Vorteile des männlich geprägten Gesetzeswerks für ihre Mandanten auszunutzen. Der Nachname Ensler ist eine Hommage von Suzie Miller an Eve Ensler, die vor bald dreißig Jahren mit den „Vagina Monologen“ Theatergeschichte geschrieben hat.

Cool und erfolgreich, beschwingt und mit lockeren Sprüchen, so kommt Mercy Dorcas Otieno ins Spiel. Alles entwickelt sich bestens für sie. Sie beginnt im Büro eine Affäre mit einem netten Kollegen, geht mit ihm aus, lädt ihn zu sich ein. Sie betrinken sich heftig, sie übergibt sich, ihr ist schlecht, sie will schlafen. Eben noch romantisch, wird das Date zum Alptraum. Er drückt sie nieder, presst die Hand auf ihr Gesicht, er vergewaltigt sie.

Regisseur András Dömötör und die Ausstatterin Moira Gilliérron überlassen ihrer Schauspielerin das Feld. Am Boden nur ein paar Lichtmarkierungen, über ihr schwebt eine Art Leinwand, wie ein Damoklesschwert, aber auch als Projektionsfläche. Das Stück arbeitet mit Rückblenden, man lernt Enslers Mutter kennen und dann die handelnden Personen im Gerichtssaal. All die Männer, den Richter, den Verteidiger, dessen Job sie allzu gut kennt, die Freunde des Angeklagten.

Mercy Dorcas Otieno stellt uns die Szenerie plastisch vor Augen, schmerzhaft deutlich, als würde sie von der Rolle rückhaltlos übernommen. Es läuft gegen Tessa Ensler. Aber sie nutzt die juristische Bühne für ein flammendes Plädoyer. Für eine Strafrechtsreform, die Frauen zu ihrem Recht verhelfen kann. Es ist ein moralischer Gewinn auf mehreren Ebenen.

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