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Biotop aus Formen. Die Installation von Anne Duk Hee Jordan kommentiert Georg Kolbe und Mies van der Rohe.

© Enric Duch

Ausstellung im Georg Kolbe Museum: Mies und der Gummibaum

Bevor die Direktorin geht: Eine Ausstellung im Georg Kolbe Museum huldigt dem Dreiklang von Natur, Skulptur und Architektur.

Eine Buchsbaumhecke treibt im Georg Kolbe Museum ihr Unwesen. Wie eine niedliche Bimmelbahn rollen die baumarktüblichen Plastikpflanzkübel durch den Ausstellungsraum. Die perfekt beschnittenen Kugeln sind makellos grün. Unangekränkelt vom brutalen Zugriff des Zünslers, dessen Befall allenthalben in historischer Parks den Gärtnern Albträume macht.

Nein, Anne Duk Hee Jordans possierliche Hecke rückt ungebremst vor. Wird sie der Besucherin ans Schienbein fahren? Erst im letzten Moment bremst das digital autonome Gefährt und schlägt eine andere Fahrtrichtung ein.

Derweil räumt Direktorin Julia Wallner nebenan ihr Arbeitszimmer. Sie wechselt ans Arp Museum Rolandseck. Vor knapp 10 Jahren übernahm sie das idyllisch gelegene, aber finanziell klamme Museum im Atelierwohnhaus des Bildhauers Kolbe.

Sie stemmte die denkmalgerechte Sanierung des 1927 errichteten Baudenkmals und verordnete dem Ausstellungsprogramm eine Frischzellenkur. Neben beharrlichen Kolbe-Archivrecherchen holte sie aktuelle Bildhauerkunst in das Haus.

Zu schön, um zu bleiben

Zu schön sei es hier, gerade deshalb müsse sie gehen, meint Wallner. Ihre erste Ausstellung im Kolbe Museum galt Hans Arp, der als Pionier der Abstraktion natürlich größere, auch internationale Strahlkraft besitzt als der 1877 geborene, dem Figürlichen verhaftete Kolbe.

Für ein Jahr im voraus liegen Ausstellungspläne schon in der Schublade: Im Herbst etwa kommt endlich das ambivalente Verhältnis des Bildhauers zum NS-Regime aufs Tapet. Diesmal geht es um andere Kernfragen.

„Künstliche Biotope“ heißt die Ausstellung, die Mies van der Rohe, Kolbe und Lehmbruck mit Anne Duk Hee Jordans Installationen kombiniert. Beleuchtet wird das komplexe Wechselspiel von architektonischem Raum, Natur und Figur. Die heiter gedankenlose Buchsbaumhecke ist Teil davon. Im Hauptraum tröpfelt Wasser, Schwimmpflanzen grünen im Becken. Auf Stahlträgern krallen sich langsam wachsende Sukkulenten mit baumelnden Luftwurzeln fest, die keinen Kontakt zum Erdreich mehr brauchen.

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Auch Ludwig Mies van der Rohe befasste sich mit biomorphen Strukturen und Konzepten des Pflanzenreichs. In seiner Bibliothek fanden sich Dutzende wissenschaftlicher Bücher dazu. Aber Natur war für die Akteure der klassischen Moderne vor allem eine ästhetische Kategorie, nicht wie heute eine existenziell bedrohte Sphäre. Auf Fotos der ikonischen Mies-Bauten fallen perfekt platzierte Gummibäume ins Auge. Gern gestaltete der Architekt die Gärten für seine Bauherren gleich mit. Das Sich-Öffnen des gebauten Raums durch großzügige Glaswände wurde zu seinem Markenzeichen.

Von der Ästhetik der Natur zur bedrohten Natur

Warum gestaltete Mies nicht auch das Haus des befreundeten Bildhauers Kolbe? Der wollte wohl selbst zuviel bestimmen. Wie in seinem Domizil Innen und Außen ineinanderfließen, ist aber offenkundig auch von Mies’ Ideen angeregt. Anne Duk Hee Jordan lenkt die Aufmerksamkeit darauf. Farbspiegelfolien auf den Atelierfenstern verfremden den Blick nach draußen.

Drinnen lassen langsam sich drehende Rundspiegel die ausgestellten Kolbe- Skulpturen imaginär durch den fragmentierten Raum „wandern“. Der ausgefuchste Einsatz von Spiegeln verrät, dass die Künstlerin bei Olafur Eliasson studierte. Zugleich sprechen ihre Arbeiten die Fragilität und Bedrohtheit der Natur an: für Kolbe und Konsorten seinerzeit noch kein drängendes Thema.

Aber der Bildhauer ließ bei seinem Atelierhausbau die schlanken Kiefern auf dem Grundstück stehen, die alte Buche ist mittlerweile machtvoll übers Dach gewachsen.

[Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, bis 28. August, täglich 10-18 Uhr]

Das Biotop aus organischen und geometrischen Formen in dieser Atelier-Oase ist fein abgestimmt. Kolbes Skulpturen brauchen die Architektur, um zur Wirkung zu kommen. Aber auch Mies brauchte Bildhauer wie Kolbe oder Lehmbruck. Erst deren konzentrierte, schlanke Menschenfiguren gaben seinen fließenden Räumen Halt und Maß. Wandfüllend vergrößerte Fotos zeigen es.

Den legendären Barcelona-Pavillon auf der Weltausstellung 1929 dominierte Kolbes überlebensgroße Frauengestalt „Morgen“. Dieser wirkungsvolle Auftritt prägte sich ins kulturelle Gedächtnis ein. Die Gipsfigur ist ausgestellt: Sie hebt ihre Arme pflanzenhaft anmutig über den Kopf.

Skulptur und Architektur brauchen sich gegenseitig

Wilhelm Lehmbrucks Arbeiten sind strenger, spröder. Auch ihn bezieht die zuerst im Mies-Bau Haus Lange in Krefeld gezeigte Ausstellung ein. Kolbe kannte den etwas jüngeren Duisburger Bildhauer aus Pariser Tagen. Lehmbruck war, so Julia Wallner, der einzige neben Barlach, den Kolbe als Kollegen ernst nahm. Als der introvertierte Lehmbruck sich 1919 in Berlin das Leben nahm, war das Entsetzen in Avantgardekreisen groß.

In einem kleinen Ausstellungsraum treffen die Werke beider Bildhauer konzentriert aufeinander. Beide stilisierten den weiblichen Körper zu schlanker, androgyner Form. Lehmbrucks „Pygmalions Statue“ beugt sich mit sanft gebogenem Rückgrat weit vor. Der Torso scheint die Grenzen der Schwerkraft zu hinterfragen. Dass solche stillen Arbeiten ihre Aura entfalten können, liegt auch daran, wie sie austariert sind. Skulptur ohne Raum? Das wäre nicht denkbar.

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