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Vicky (Shu Qi) und Hao Hao (Tuan Chun-hao) lassen sich treiben.

© 3H Productions / Paradis Films

„Millennium Mambo“ im Kino: Schlaflos im Neonlicht

Nach zwanzig Jahren kommt Hou Hsiao-hsiens hypnotischer „Millennium Mambo“ in die deutschen Kinos. Betörender sah die Orientierungslosigkeit der Jahrtausendwende nie aus.

Von Andreas Busche

Weiterlaufen, während der Blick noch einmal zu dem Punkt zurückschweift, den Vicky längst hinter sich gelassen hat. Die erste Szene von Hou Hsiao-hsiens hypnotischem Neo-Noir-Drama „Millennium Mambo“ nimmt bereits die filmische Bewegung dieser Zeitreise-Geschichte vorweg.

Vicky (gespielt von Shu Qi, die gerade den Sprung von erotischen Filmen zum Actionkino geschafft hatte) blickt aus dem Jahr 2011 auf den Millenniumswechsel zurück – als der „Bug“ sich zwar nicht technologisch manifestiert hatte, aber die Twentysomethings sich trotzdem ziemlich verloren fühlten in der neuen Zeit. Dass „Millennium Mambo“ jetzt nach zwanzig Jahren erstmals in den deutschen Kinos startet, zehn Jahre nach seiner „Erzählzeit“, macht die temporale Verwirrung komplett.

Denn der taiwanesische Meisterregisseur ignoriert elegant alle zeitlichen Zusammenhänge, seine Geschichte gleitet fast wie im Halbschlaf durch die Jahre. Das Ende ihrer Beziehung mit dem nichtsnutzigen Hao Hao (Tuan Chun-hao), der sie emotional und körperlich missbraucht, verrät Vicky früh im Voiceover.

Sie spricht von sich in der dritten Person, um die Entfremdung vollkommen zu machen. Die Szene, in der die Polizei ihn mitnimmt, weil ihr Möchtegern-DJ-Freund seinen eigenen Vater bestohlen hat, sehen wir später.

Beeinflusst von Wong Kar-wai

Hou Hsiao-hsien war längst als einer der maßgeblichen Regisseure Asiens etabliert, als er sich auf seine frühen Filme über verlorene Jugendliche in Taipeh zurückbesann und mit „Millennium Mambo“ versuchte, an den Zeitgeist anzuknüpfen. Eine diffuse Orientierungslosigkeit hat nicht nur seine verschachtelte Erzählung, sondern auch seine Figuren befallen, die kommen und wieder verschwinden – wie der Kleingangster Jack (Jack Kao), dem Vicky sich anschließt, um von Hao Hao loszukommen.

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Vier Jahre zuvor war Hongkong zurück an China gegangen und hatte nicht zuletzt in der florierenden Filmindustrie der ehemaligen Kronkolonie für Verunsicherung gesorgt. Diese Unruhe durchzieht auch die neongetränkten Nachtbilder von „Millennium Mambo“, die in der neuen 4K-Restaurierung umso mehr leuchten. Kameramann Mark Lee Ping-bin hatte kurz zuvor mit Wong Kar-wai „In the Mood for Love“ gedreht, der Einfluss ist unverkennbar. Er wurde Hou seinerzeit auch vorgehalten.

Rückblickend spricht aus den Bildern weniger ein „Millenniumsgefühl“ als vielmehr eine Idee davon, was man sich um die Jahrtausendwende unter state of the art Erzählkino vorstellte. Die affizierte Leere und emotionale Verwahrlosung, grundiert von Motiven des Genrekinos, besitzen eine betörende Schönheit: von den durchfeierten Nächten in Taipeh, unterlegt mit einer beständig pluckernden Musik-Collage, bis ins winterliche Japan, wo Vicky im Schnee einen Abdruck ihres Gesichts hinterlässt. Aber auch der Schnee ist nur eine flüchtige Erscheinung.

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