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© REUTERS/Kim Hong-Ji

Netflix ändert Messdaten: Zahlen-Schrauber

Views statt viewed hours: Der Streamingdienst schwört weiter auf seine Tonnen-Ideologie.

Ein Kommentar von Joachim Huber

Das muss man Netflix schon lassen. Welche Zahl der Streamingdienst auch immer kommuniziert - es ist eine Zahl, die den Erfolg des Streamingdienstes unterstreicht. Also wurde an den Statistiken geschraubt: Netflix sortiert seine Top-10-Statistiken von Serien und Filmen künftig nach den Abrufen (views) und nicht mehr nach den angesehenen Stunden (hours viewed).

Sieger „Squid Game“

Und weil zudem der Erhebungszeitraum für die sogenannten Most-Popular-Lists von einem Monat (28 Tage) auf drei Monate (91 Tage) verlängert wurde, wird die Mystery-Serie „Wednesday“ als populärste englischsprachige Serienproduktion geführt, global nur getoppt von dem südkoreanischen Survival-Drama „Squid Game“

Für „Wednesday“ ergaben sich nach drei Monaten demnach etwa 252 Millionen Abrufe (grob 1,71 Milliarden angeschaute Stunden dividiert durch die Laufzeit von sechs Stunden und 49 Minuten).

Der Grundgedanke der Tonnen-Ideologen aus dem kalifornischen Los Gatos bleibt bestehen: Große Zahlen belegen den großen Erfolg, und der große Erfolg gebiert den nächsten großen Erfolg.

Egal ob Netflix, Amazon Prime oder Disney+, kein Streamingdienst will veröffentlichen, wie sie in deutschen Haushalten genutzt werden. Streamen an einem Wochentag eine oder zwei Millionen oder gar zehn Millionen? Da schweigen die Streaming-Riesen vor sich hin.

Verliebt in ihre Zahlen-Erfolge verschweigen sie zudem ihre Misserfolge. Wenn eine Serie fortgesetzt wird, wird das laut heraustrompetet. Warum eine andere wie „1899“ nicht fortgesetzt wird, wird nicht weiter und explizit erklärt. Ganz sicher liegt es immer an den Zahlen.

Die Serie „Wednesday“ mit Jenna Ortega kommt auf 252 Millionen Views.

© dpa/Evan Agostini

Da muss nicht nur dieser Streamingdienst aufpassen. Es ist schon jetzt an den Katalogen ablesbar, dass Netflix & Co. der innovative Charakter in seinen Produktionen verloren geht. Lieber die sichere Nummer, lieber mehr vom Gleichen, eine Serie von Beginn an so aussteuern, dass weitere Staffeln garantiert sind. Der einstmals revolutionäre Charakter des Streaming-TV scheint sich in Zahlenarithmetik aufgelöst zu haben.

Sorry, Netflix. Wenn „Wednesday“ bislang 252 Millionen Views erreicht hat, kann das nicht beeindrucken. Weil der Abonnent zur bloßen Masse wird.

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