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Blick ins Werkbundarchiv – Museum der Dinge.

© JF / Museum der Dinge

Exklusiv

Nur ein Abschied auf Zeit?: Der neue Zwischenstandort für das Werkbund-Archiv ist gefunden

Das Werkbund-Archiv feiert am Freitag 50-jähriges Jubiläum, bevor es im November die Oranienstraße verlassen muss. Ein Ausweichquartier ist endlich gefunden. Der Neubau aber steht in den Sternen.

Es gibt wenige Museen in Berlin, die derart viel Neugier auslösen wie das Museum der Dinge – Werkbundarchiv in der Oranienstraße. Dicht an dicht stehen Hunderte von Objekten in schlichten Schränken, ganz ohne die in der deutschen Kulturtradition so zentral bewertete Unterscheidung von „Hoch“ und „Populär“. Erlesenes Design der Kaiserzeit und der vielen Modernen, der DDR und der Bundesrepublik werden hier gezeigt, aber auch herrlich verrückte Touristensouvenirs (was mal alles so aus der Mona Lisa machen kann …), die Covid-19-Sammlung, Spielzeug.

Am 5. November aber wird dieses Museum mit mehr als 20.000 Objekten und einer riesigen Dokumentensammlung geschlossen. Der Eigentümer des Hauses, ein Luxemburger Immobilienfonds, will das Haus teurer vermieten können. Auch diese Bildungsinstitution, die am Freitag feierlich ihr 50-jähriges Bestehen begeht, ist nicht sicher vor der ruchlosen Gentrifizierungs-Gier, die Berlins Kulturwelt inzwischen massiv bedroht.

Was wird nun aus dem Museum der Dinge?

Seit Jahren ist versprochen, dass als neue Bleibe an der Karl-Marx-Allee ein Neubau in Form eines jener Pavillons entstehen solle, die dort schon seit den 1960er-Jahren geplant waren. Kein leichter Sprung für diese Institution des gelebten Pluralismus; es geht nicht etwa in das tief vom Werkbund-Individualismus geprägte West-Berliner Hansaviertel, sondern an die Ost-Berliner Karl-Marx-Allee, diesem Symbol der antiindividualistischen Architekturdoktrin der DDR.

Aber man will ihn wagen, den Sprung – doch bisher gibt es nur viele Ankündigungen und Skizzen. Von der Wohnungsbaugesellschaft WBM Mitte über die Bauverwaltung und die ihr neuerdings unterstellte Denkmalpflege bis zum Kultursenator sind hier viele Stellen zusammenzubinden. Da braucht es viel Energie, und irgendwann auch einmal Geld. Das es zunehmend weniger gibt.

Immerhin: Unmittelbar bevor dieser Artikel fertig wurde, ließ der neue Kultursenator Chialo dem Tagesspiegel auf Anfrage mitteilen: Das Museum der Dinge – Werkbundarchiv wird zwar mittelfristig den größten Teil seiner Sammlungen in einem Depot verwahren müssen. Seine Ausstellungen und seine Arbeit aber kann es nun doch erst einmal fortsetzen an der Leipziger Straße. Angekündigter Eröffnungstermin ist Ende Mai 2024.

Neue Gestaltung für eine neue Gesellschaft

Der Werkbund wurde 1907 in München, der damaligen deutschen Kunsthauptstadt, quasi als Ausweg aus dem als dekadent und elitär begriffenen „Jugendstil“ und aus dem als überholt und feudal betrachteten Späthistorismus der Kaiserzeit begründet.

Industrielle, Handwerker, Manufaktur-Betriebe, Künstler und Kunstschriftsteller, Architekten und Designer, darunter konservative und liberale Reformer, aber auch Avantgardisten wollten mit neuen Gestaltungen der neuen, industriellen Gesellschaft Formen zu geben. Es sollten aber auch neue Märkte für die deutsche Wirtschaft erobern werden – der Werkbund hatte immer auch eine sehr nationale Seite neben dem Anspruch, die Gesellschaft insgesamt durch Gestaltung reformieren zu können.

Volle Vitrinen im Werkbundarchiv – Museum der Dinge. In den Regalen steht Kitsch und Billigware neben erlesenem Geschirr und Designware.

© Armin Herrmann/ Werkbundarchiv – Museum der Dinge

Seine erste Hochzeit erlebte er in der späten Kaiserzeit und Weimarer Republik mit Tagungen, der Zeitschrift „Die Form“, international einflussreichen Ausstellungen wie in Köln, Breslau oder Stuttgart. Doch auch der Werkbund versagte 1933 vor der zivilisatorischen Herausforderung durch die Nazis, löste sich 1938 selbst auf.

Immerhin war er damit nicht vollständig Teil nationalsozialistischer Kulturpolitik, konnte als erster Landesverband schon 1945 in Sachsen neu begründet werden. Schnell folgten andere Neugründungen, 1949 in Darmstadt die des neuen Bundesverbands. Es war nicht zuletzt der erste Bundespräsident Theodor Heuss, von 1919 bis 1933 Geschäftsführer des Deutschen Werkbund, der diese Renaissance intensiv förderte.

Private Vereinsinitiative

Der Werkbund wurde vor allem in der alten Bundesrepublik zu dem Maßgeber für die Waren- und Alltagsgestaltung. Er gab die Gestaltungszeitschrift „werk und zeit“ heraus (systematische Kleinschreibung war fast schon ein Erkennungsmerkmal des Werkbunds) oder den 1953 etablierten „Rat für Formgebung“.

1972 entstand das heutige Museum der Dinge aus einer privaten Vereinsinitiative heraus in West-Berlin, zunächst nur als „Werkbundarchiv“. Es sollte vor allem das Erbe des 1907 begründeten Deutschen Werkbunds zusammentragen, in Ergänzung zum Kunstgewerbemuseum, das beim Sammeln der modernen Gestaltungskulturen seit 1919 kläglich versagt hatte, zum 1960 in Darmstadt begründeten und 1971 nach West-Berlin umgesiedelten Bauhaus-Archiv mit seinem Avantgarde-Schwerpunkt und dem 1973 eröffneten, privaten Bröhan-Museum für Jugendstilkunst.

Aber als das Werkbund-Archiv 1973 die Türen öffnete – am Freitag wird in der Oranienstraße mit Tagung und Fest dieser fünfzigste Jahrestag gefeiert – war die zweite Hochzeit des Verbands bereits vorbei.

Formen sind Teil der Kulturgeschichte

Gerade jüngere Designer kritisierten das Kulturbildungs-Pathos der Gründerväter: Es gingt nicht nur um „die gute form“ – so hieß ein 1969 bis 2001 vom Bundeswirtschaftsministerium und Werkbund vergebener Preis. Gute Gestaltung habe etwas mit Macht- und Produktionsverhältnissen zu tun, mit sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen. Das Werkbundarchiv zeigt entsprechend, dass Formen Teil der Kulturgeschichte sind, eine individuelle kulturelle Entscheidung und dann auch eine wirtschaftliche Tat.

Deswegen: Billig-Design, praktische Klappstühle und „Kitsch“ neben erlesenem Mono A-Besteck, Rosenthal-Geschirr und Braun-Radiogeräten. 1999 folgte die Umbenennung in „Museum der Dinge – Werkbundarchiv“, um die Erweiterung des Werkbund-Mythos anzuzeigen.

Das angekündigte Zwischenquartier in der Leipziger Straße wäre sicher nur eine Notlösung – die sich zudem auf gar keinen Fall und berlintypisch verfestigen darf. Aber immerhin: Besser, als dass dieses gerade seiner gesellschaftskritischen Position wegen auch international hoch angesehene Museum auf Jahre oder gar Jahrzehnte hinaus ganz aus der Berliner Bildungslandschaft verschwände wie etwa die Sammlungen im Pergamonmuseum.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes stand, das Werkbundarchiv – Museum der Dinge schließe seinen Standort in der Oranienstraße diesen Freitag. Das ist nicht korrekt und wurde korrigiert. Ebenso der geplante Termin für die Wiedereröffnung am Ausweichstandort.

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