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Kultur: Ohne Extra fehlt dir was

Daniela Ziegler gibt Maria Callas: „Meisterklasse“ im Renaissance-Theater

Am Ende liegen die Nerven blank, es kommt zum Skandal. Das Publikum im Konzertsaal der Julliard School of Music in New York, in dem Maria Callas öffentlich Gesangsunterricht erteilt, wird Zeuge, wie eine Studentin die Diva attackiert: „Sie können nicht mehr singen, und Sie sind eifersüchtig auf alle Jüngeren, die singen können.“ Ist sie im Recht mit diesem Vorwurf? Die junge Sopranistin hat sich als Verdis Lady Macbeth durchaus bewährt, die Lehrerin aber hat ihr nur eine „hübsche Stimme“ bescheinigt – eine Rolle wie die Lady Macbeth dagegen verlange „etwas Besonderes“. Fatal! Hat sie mit diesem Urteil nicht ebenfalls Recht?

Es ist eine knifflige Situation, mit der Terrence McNally in seinem Stück „Meisterklasse“ das Publikum konfrontiert – nicht nur das Publikum jener historischen Gesangskurse der alternden Primadonna, sondern auch das Publikum jeder neuen Inszenierung dieses Longsellers, der seit der New Yorker Uraufführung von 1995 über die Bühnen der Welt geht, eine Herausforderung für Protagonistinnen in den besten Jahren. Bei uns haben Elisabeth Rath in München, Hildegard Schmahl in Hamburg, Angelica Domröse in Berlin die Callas gespielt. Jetzt stellt sich hierorts, im Renaissance-Theater, Daniela Ziegler dem Anspruch dieser Aufgabe, eine Schauspielerin, die, in vielen Genres erfahren, auch im Musicalfach ausgebildet ist.

Eine erfolgreiche Evita Peron in Webbers „Evita“, hat sie es nun mit einer Callas zu tun, die ihre Karriere hinter sich hat. Sie lässt momentweise die „Ruine einer Stimme“ hören, schreibt McNally in einer Regieanweisung. Daniela Zieglers Callas indes kann es sich leisten, zu Beginn des Abends, bei der Arbeit an einer Arie der Amina aus Bellinis „La Sonnambula“, eine Phrase im italienischen Original zu singen, ohne sich zu blamieren. Traut sie sich vielleicht zu viel zu? Setzt sie sich am Ende, in der Auseinandersetzung mit der Interpretin von Verdis Lady, womöglich ins Unrecht? Ist diese Callas etwa tatsächlich ein von Neid auf die Jugend erfülltes Biest?

Die spannende Ambivalenz, ein Verdienst der vom Hamburger Ernst Deutsch Theater übernommenen Inszenierung Boris von Posers, rührt aus dem Entschluss, die Rollen der Schüler durchaus nicht anfängerhaft schwächlich zu besetzen, sondern mit Kräften, die eine eigene Statur mit der Fähigkeit zu gelinder Selbstironie nebst einer Portion Selbstbewusstsein verbinden. Nach Kathrin Unger als schüchterner Bellini-Sopranistin und Kolja Hosemann als forschem Puccini-Tenor ist es Johanna Krumin, die als durchdringende Verdi-Interpretin der Diva Paroli bietet.

Die drei Jungen, dazu Matthias Stötzel als souveräner, hintersinnig-verschmitzter Begleiter am Flügel, teilen sich nach zweieinhalb Stunden den rauschenden Beifall mit Daniela Ziegler, die sich als göttliche Callas naturgemäß nur zu gern feiern lässt. Mit großen Gesten, das Gesicht verzückt, hat sie die Rückblenden in die himmlisch-höllische Vergangenheit durchlebt, mit einem Wechselbad aus Ernst und Spott das Bekenntnis der Künstlerin zu ihrer Kunst vorgetragen. „Ich wusste, dass ich ein gewisses Etwas brauchte, und ich habe mir eins zugelegt“, erklärt die Callas ihrem amerikanischen Publikum. Ob die New Yorker ihr das Geständnis abgenommen haben? Die Berliner Ziegler-Fans glauben ihr – ein schöner Sympathiebeweis – aufs Wort.

Wieder 2. bis 7. u. 10. bis 14. November.

Günther Grack

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