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Panik im Tütü. Die „Ursonate“ mit Ensemble.

© Elke Walkenhorst

Ohne Merz kein Scherz: Kurt Schwitters’ „Ursonate“ am Deutschen Theater

Der Avantgarde-Klassiker in neuer Gestalt: So wird Dada zum Entertainment.

In den Museen dieser Welt stößt man fast überall auf seine Collagen. Sie stechen heraus mit ihrer Alltagsmaterialität, die sich in heiligem Humor transzendiert. Kurt Schwitters, geboren 1887 in Hannover, gestorben 1948 im britischen Exil, wird allgemein zur Dada-Bewegung gezählt, ging aber konsequent eigene Wege. Als Dichter, Performer, Maler, Grafik-Designer entwickelte er seine „Merz“-Kunst. Sie passt kaum in die Schemata seiner aufgewühlten Zeit.

Wie so viele Avantgardisten war Schwitters sehr penibel. Sein berühmtes Lautgedicht, die „Ursonate“ von 1932, nahm er selbst für den Rundfunk auf, jede Betonung war festgelegt, jede Silbe markiert. Noch bis die 1990er Jahre wachte sein Sohn Ernst Schwitters über die strikte Einhaltung des väterlichen Vortrags. Damals entstand die legendäre Aufführung der Berliner Tanzfabrik mit fünf Tänzerinnen und Tänzern und einem Sprecher.

Im Urzustand dauert die „Ursonate“ knapp vierzig Minuten. Claudia Bauers Inszenierung am Deutschen Theater ist fast drei Mal so lang. Die Freiheit kann sie sich jetzt nehmen. Sie baut andere Schwitters-Texte in ihre choreografische Sprechoper ein, darunter die unwiderstehliche „Anna Blume“. Sie dehnt und illustriert das abstrakte Sprachkunstwerk, begleitet von den Klängen des Komponisten Peer Baierlain. Mit Live-Musik wird gewalzert, marschiert, geträumt und gekämpft. Schwitters ist sinnfrei, aber kein Nonsense: eine höchst schwierige Balance.

Schwanengesang der Rampensäue

Acht Schauspielerinnen und Schauspieler in ballettöser Aufmachung (Kostüme: Vanessa Rust), mit wilden Perücken sind permanent im Panikmodus unterwegs. Backstage-Gerangel, Probeneifer, kleine Rampensauereien: Der „Ursonate“ hat die Regisseurin hier noch einen Untertitel verpasst, auch von Schwitters: „Wir spielen, bis uns der Tod abholt“. So wird es eine Art Schwanengesang, ohne allzu große Finalität oder Fatalität.

Es soll auf jeden Fall lustig bleiben. Die Show-Bühne (von Patricia Talacko) dreht sich und hat Türen, dahinter lauert die Videokamera, das muss dann auch sein: Gesichter in Großaufnahme, von namenlosen Geistern getrieben. Von der Nervosität, das Klassenziel zu verfehlen. Komisch, aber die ganze Aufmachung und Mimik erinnern heftig an das Theater des Herbert Fritsch. Er hat lange schon perfektioniert, was Claudia Bauer jetzt auch zu ihrem Markenzeichen macht.

Frisch nach Herbert Fritsch

Unterhaltung im Theater, immerhin. Die Welt ist schon beschissen genug, und wer will das Elend auch noch immerzu auf der Bühne haben! In der zweiten Vorstellung, die ich sah, waren viele junge Menschen im Publikum, wohl eine Schulklasse. Sie haben sich bestens amüsiert, gingen mit, antworteten mit Zurufen, applaudierten fröhlich. Von der Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg werden sie nicht viel gewusst haben. Es funktioniert auch voraussetzungslos.

Merkwürdig, aber irgendwie fühlt man sich von diesem Theater beobachtet. Claudia Bauer will Entertainment. Sie will es vielleicht allzu sehr. Die Wiederholungen der Gruppenexerzitien bekommen etwas Zwanghaftes. Zwischendurch verleitet ihre „Ursonate“ auch immer mal zum Blick auf die Uhr.

Kleine Kostprobe: „Fümms bö wö tää zää Uu, / Uu zee tee wee bee fümms. / rakete rinnzekete“. Das muss aber auch erst einmal einstudiert sein. Das Ensemble zeigt sehr viel Disziplin. Die chorreichen Acht bringen das Chaos kontrolliert zum Singen und Klingen, und ganz allmählich schält sich auch Individualität und Lust zum Widerspruch heraus. Die chorreichen Acht bringen das Chaos kontrolliert zum Singen und Klingen. Hoffentlich hören sie auf, bevor der Tod sie holt. Das ist dann doch zu aufgesetzt.

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