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Kultur: Pfahl im Fleisch

Wofür die Worte fehlen: Das Berliner Instituto Cervantes zeigt Goyas „Desastres“ und stellt sie Kriegs- und KZ-Fotografien gegenüber.

Nackte, geschundene Körper, gefesselt an einen verstümmelten Baum. Körperfetzen, ein kopfloser Rumpf hängt, an seinen Beinstümpfen festgezurrt, von einem Ast herab, die abgeschlagenen, noch gefesselten Hände daneben. Der Kopf steckt, die Augen geschlossen, als könne er diese maßlose, unmenschliche, über alle Grenzen hinweg entfesselte Grausamkeit nicht mehr sehen, auf einem spitzen Aststumpf. Zermalmte Körper, durchbohrt, bluttriefend, zerhackt, gebrochen, geschändet: Francisco de Goyas Radierungszyklus „Die Schrecken des Krieges“ zeigt mit brutaler Schonungslosigkeit die Gräueltaten, die während der Napoleonischen Kriege (1807-1814) in Spanien begangen wurden, und zwar sowohl von den französischen Besatzungstruppen wie von der Guerilla.

Goya (1746-1828) war von General Palafox, dem Verteidiger der Stadt Saragossa, nach deren erster Belagerung eingeladen worden, um die schreckliche Lage zu dokumentieren. Er zeichnet ein Bild des Chaos: anonymes Sterben, Knäuel toter Körper, grausige Hinrichtungsszenen, Vergewaltigungen. Die „Desastres“ hat man schon oft gesehen, der Radierungszyklus ist weltberühmt.

Während andere Künstler damals Patriotisches malten, versuchte Goya objektiv und doch eben durch seine Kommentarlosigkeit urteilend, den im Krieg entfesselten Schrecken darzustellen: Manches sah er selbst, anderes wusste er nur vom Hörensagen.

Goya war somit erste Kriegsberichterstatter seiner Zeit, der mit den Mitteln des Bildes erzählte. Neben seinen Darstellungen des Krieges prangerte er auch die Todesstrafe an, dokumentierte die Madrider Hungersnot von 1811 und kritisierte die absolutistische Herrschaft von Ferdinand VII. nach dem Krieg. Obrigkeits- und Kirchenkritik finden in seinen Radierungen Platz, wenn er den Hungernden auf den Straßen Madrids feiste Adlige gegenüberstellt.

Doch Opfer sind bei Goya nicht nur die gequälten Menschen, sondern es ist auch die Wahrheit. Sein Wunsch nach ihrer Wiederauferstehung und nach der Freiheit erfüllte sich in Spanien jedoch nicht, und so ging er 1824 nach Bordeaux ins Exil.

Die Ausstellung „Goya, Chronist aller Kriege. Los Desastres und die Kriegsfotografie“ im Instituto Cervantes kombiniert nun Goyas Radierungen mit Aufnahmen aus dem Krimkrieg, dem Vietnamkrieg, dem Spanischen Bürgerkrieg und Fotos aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen. Es ist ein riskantes Unterfangen, Goyas „Desastres“ und Kriegsfotos auf eine gemeinsame Stufe zu stellen. Grausamkeit als Gemeinsamkeit? Nicht nur.

Die Bildreporter stammen aus zwei verschiedenen Jahrhunderten, und die technischen Möglichkeiten haben sich nicht nur weiterentwickelt, was die Abbildung von Wirklichkeit angeht, sondern die Tötungsmaschinerien selbst sind ganz andere geworden. Und doch scheint es, als ob die Fotografen denselben Schrecken erleben wie Goya: Sie dokumentieren einen Krieg unter Lebensgefahr. Larry Burrows, Robert Capa, Yosuke Yamahata und Roger Fenton sind einige der Reporter, deren Fotos in einer Diashow gezeigt werden.

Schade nur, dass die Gegenüberstellung von moderner Kriegsfotografie und Goyas Radierungen, die den Kern der Ausstellung ausmachen soll, in der Präsentation untergeht. Anstatt direkt zu vergleichen, hat man in die lange Reihe von Goyas Radierungen nur vereinzelte Bilder ohne Angabe von Zeit, Schauplatz und Urheber geklebt. Völlig aus ihrem Kontext gerissen ist so eine sinnvolle Gegenüberstellung unmöglich. Wenn schon Vergleich, warum dann nicht mutiger? Dabei gibt es, wie die in einem Nebenraum fast versteckte Diashow offenbart, genug Material: Hier wird die Geschichte der Kriegsberichterstattung erzählt, eindringlich und brutal.

Die Bilder sind, genau wie Goyas Radierungen, schwer zu ertragen, brennen sich, mal von Schussgeräuschen, Schreien oder ätherischer Musik untermauert, in das Gedächtnis des Betrachters ein. Und erinnern daran, weshalb es so wichtig ist, dass die Dokumentation von Kriegen in Bildern erfolgt: weil es Grausamkeiten gibt, die unbeschreiblich sind.

Instituto Cervantes, Rosenstr. 18-19, Mo-Fr 12-19 Uhr, bis 30. März.

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