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Tosca

© dpa

Oper: Gewalt mit Leidenschaft

Eivind Gullberg Jensen und das DSO glänzen mit „Tosca“ in Baden-Baden.

Für Gustav Mahler war sie ein „Kunstmachwerk“, der Wiener Kritiker Julius Korngold empfand die Oper als „Folterkammermusik“, und Joseph Kerman bezeichnete Puccinis „Tosca“ einfach nur als „schäbigen Schocker.“ Schon die ersten Takte im Festspielhaus Baden-Baden machen klar, dass man von dieser „Tosca“ einen anderen Eindruck haben wird: Rohheit und Brutalität sind aus dem Orchestergraben nicht zu hören, selbst die düsteren Scarpia-Akkorde zu Beginn werden vom schweren Blech des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin nicht zur Fratze entstellt.

Valery Gergiev hatte am gleichen Ort bei seinem Puccini-Gastspiel des Marinskij-Theater St. Petersburg im Januar dieses Jahres noch jede Gelegenheit genutzt, die Extreme der Partitur zu schärfen. Das Puccini-Verständnis des norwegischen Dirigenten Eivind Gullberg Jensen ist hingegen ein anderes. Der Klang des DSO bleibt stets verbindlich. Jensen schielt nicht nach dem Effekt, sondern entwickelt ganz organisch das eine aus dem anderen. Und bei den vielen schnellen Stimmungswechseln der „Tosca“-Partitur reagiert das hauptstädtische Orchester so blitzartig wie beweglich.

Auch die Ausstattung hat nichts von einem „schäbigen Schocker“. Jeweils eine geschlagene Stunde (!) brauchen die Bühnenarbeiter in den beiden Aktpausen, um die aufwendigen und stimmungsreichen Räume von Bühnenbildner Raimund Bauer in Position zu bringen. Es sind die gleichen, die 1998 für Nikolaus Lehnhoffs Amsterdamer Inszenierung verwendet wurden. Die Kostüme dagegen sind neu, Andrea Schmidt-Futterer hat sie für die Eröffnung der Baden-Badener Sommerfestspiele frisch entworfen.

So hängt sich Scarpia im zweiten Akt einen prächtigen, weit ausschwingenden Mantel in Scharlachrot um die nackte Brust, die Garderobe von Tosca entspricht der einer Operndiva. Ein Schocker ist diese großartige Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff trotzdem. Weil sie die Partitur sehr genau zur Kenntnis nimmt und Puccinis von Spannung aufgeladenes Meldodram schlüssig und atmosphärisch dicht in Szene setzt. Und weil sie sich dem Pathos stellt, das in dieser leidenschaftlichen Musik steckt.

Als Scarpia am Ende des ersten Aktes zum „Te Deum“ des Chores seine lüsternen Fantasien entwickelt, schießen Flammen aus den säulengleichen Kerzenständern. Immer mehr Fackeln werden entzündet, immer perverser wird diese Verbindung von Geilheit und religiösem Pathos. Doch nicht nur die dramatischen Höhepunkte werden von Lehnhoff spannungsreich und fantasievoll ins Bild gebracht, sondern auch im Kleinen zeigt diese Inszenierung Sinn und Sinnlichkeit. Es ist die gleiche Gänsefeder, mit der Scarpia im zweiten Akt zunächst den Passierschein unterzeichnet und dann Tosca lüstern über die Brüste streicht. Schlüssiger kann man die Dämonie dieses Puccini-Charakters nicht in Szene setzen.

Tom Fox verleiht Polizeichef Scarpia alle Dämonie, die er haben muss: Mit seinem dunklen Bassbariton entwickelt er eine geradezu beängstigende Präsenz. Nur in der Höhe verliert die Stimme bisweilen an Farbe. Wenn Scarpia im zweiten Akt im mit schwarzem Marmor ausgekleideten Palast sitzt und seiner Katze – wie einst James Bonds Gegenspieler Blofeld – den Rücken krault, dann muss man schon Angst haben um Tosca, die gleich zu ihm in sein Verlies herabsteigen wird. Aber das luxuriöse Ambiente wird zur Falle, wenn sich wie von Geisterhand die Wand öffnet und die Folterkammer für Cavaradossi freilegt oder die Treppen verschwinden, die Tosca nach dem Mord an Scarpia ins Freie führen sollen.

Die Tosca von Catherine Naglestad begegnet ihrem Peiniger auf Augenhöhe. Dieser Frau traut man alles zu. Die Eifersucht gegenüber Cavaradossi, ihre zarte Religiosität, die Hysterie bei der Entdeckung des Leichnams ihres Geliebten und auch die Gewalt, den Dominator Scarpia zu erstechen. Naglestads wunderbar strömender, in der Tiefe regelrecht bedrohlicher Sopran zeigt restlos alle diese Farben und Ebenen. Wie das Orchester muss auch sie nicht forcieren, um die Dramatik zu steigern. Nie verliert sie die Linie, nie gerät ihr Sopran bei den Steigerungspassagen aus der Spur. Ihre ganz aus dem Pianissimo entwickelte Arie „Vissi d’arte“ hat so gar nichts von einer Bravournummer.

Der amerikanischen Sopranistin gelingt damit eine lyrische Innensicht auf die Figur, die betroffen macht. Aleksandrs Antonenko kann als Cavaradossi zwar nicht ganz mit der ungeheuer intensiven Rollenzeichnung der „Sängerin des Jahres 2006“ mithalten, aber auch dem lettischen Tenor gelingen nicht nur in „E lucevan le stelle“ eindrucksvolle Momente, besonders im lyrischen Bereich. Dass diese zu hören sind, verdankt er auch dem Dirigenten Eivind Gullberg Jensen, der das DSO, den klangschönen Rundfunkchor Berlin und den Theaterkinderchor des Helmholtz-Gymnasiums Karlsruhe sensibel, präzise und gänzlich uneitel durch den Abend führt.

Wie eine zweite Haut schmiegt sich das Orchester den Sängern an. Nur ganz am Ende, wenn Lehnhoff die Erschießung Cavaradossis auf dem schrägen Dach der Engels-Betonburg vor rotem Morgenhimmel inszeniert und sein Thema ein letztes Mal zu Toscas Freitod im schweren Blech erklingt, wünscht man sich noch ein bisschen mehr orchestrale Gewalt, etwas mehr Härte aus dem Graben.

Weitere Aufführungen am 11. und 13. 7., Infos unter www.festspielhaus.de

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