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„Prinz Friedrich von Homburg“ von Jette Steckel, hier mit Renato Schuch, Bastian Reiber, Jule Böwe, Holger Bülow (v.l.n.r.).

© Armin Smailovic

„Prinz Friedrich von Homburg“ an der Schaubühne: Ein Abend im Schützengraben

Jette Steckel inszeniert Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“. Ohne Ambivalenzen geht es bei dieser Premiere nicht.

Es kracht und donnert hinterm Schützengraben – in einer Lautstärke, die mit „ohrenbetäubend“ nur unzureichend beschrieben ist. Gelegentlich steigen dazu dichte Rauchwolken auf, gelb angestrahlt von einer gigantischen Glühlampen-Armada, die zu gegebener Zeit natürlich auch gern mal grell ins Parkett hineinleuchtet.

Vorn, dem Publikum zugewandt, hetzt unterdessen ein Soldat in roter Tarnkleidung über eine dunkle Schräge: Der Bühnenbildner Florian Lösche hat ein schier endloses Areal aus schwarzen Sandsäcken auf die Bühne gebaut, das bei entsprechender Beleuchtung veritable Schlachtfeld-Assoziationen weckt.

Bei dem Soldaten handelt es sich um Heinrich von Kleists „Prinzen Friedrich von Homburg“, jenen Reitergeneral des Kurfürsten von Brandenburg, der sich im Kampf gegen die Schweden über die Schlachtordnung hinwegsetzt, der eigenen Armee damit mutmaßlich entscheidend zum Sieg verhilft und wegen seiner Disziplinlosigkeit von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt wird.

Folgenreiche Entscheidung

Die Regisseurin Jette Steckel stellt dem komplexen Kleist’schen Drama über das schwierige und eben selten eindeutige Verhältnis von Freiheit und Gehorsam, von Individuum und Korpsgeist-Gemeinschaft in der Berliner Schaubühne allerdings ein Intro voran.

Höllenqual im Schützengraben. V.l.n.r.: Renato Schuch, Bastian Reiber, Jule Böwe, Holger Bülow.
Höllenqual im Schützengraben. V.l.n.r.: Renato Schuch, Bastian Reiber, Jule Böwe, Holger Bülow.

© Armin Smailovic

Und zwar eines, das die berühmte „Traum“-Metaphorik, mit der der „Homburg“ ja üppig ausgestattet ist, in ein einziges Albtraum-Szenario wendet, das an Unmissverständlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Bevor es richtig losgeht, sehen wir den Prinzen, mit vitalem Jugend-Elan und als anschlussfähigen Sympathieträger gespielt von Renato Schuch, im Nahkampf mit einem gegnerischen Soldaten. Rat- und hilflos stehen die beiden voreinander, eine gefühlte Ewigkeit lang; ihre panisch-hastigen Atemzüge dringen bis in die letzten Parkettreihen vor.

Albtraumhaftes Intro

Homburg ist der Erste, der sich besinnt und schießt. Der andere sackt langsam in sich zusammen, wälzt sich minutenlang über den unwirtlichen Boden, röchelt, stöhnt, lässt in gut getimten Abständen die Farbpatronen an seinem Körper platzen und das Kunstblut wirkungsvoll zwischen die Sandsäcke sickern.

Homburg betrachtet ihn, entfernt sich, leidet mit, zögert, geht schließlich zurück, tritt dicht an ihn heran, beugt sich über ihn – und wird vom todgeweihten Gegner plötzlich wie in einem Psychothriller noch einmal niedergerungen, mit letzter Kraft. Am Ende reicht der Sterbende seinem „Feind“ ein Messer – auf dass der ihn von seinem qualvollen Todeskampf erlöse.

Trostloser Kriegsalltag

Rahmen und Ton für die folgenden 150 pausenlosen Minuten sind damit gesetzt: Der Lorbeerkranz, mit dem der bei Kleist eingangs schlafwandelnde und vom Kurfürsten (Axel Wandtke) nebst Hofstaat geneckte Prinz hantiert, wird hier durch einen Patronengürtel ersetzt – und der Traum mutiert zum handfesten Trauma. In Steckels Inszenierung gibt es kein Entkommen aus der soldatischen Existenz: Der ganze Abend spielt sich im besagten Schützengraben ab, die komplette Personnage trägt Tarnkleidung. Selbst unter dem mondänen silbernen Paillettenkleid, das sich die Kurfürstin (Stephanie Eidt) gern zur Scheinkompensation des trostlosen Kriegsalltags überwirft, blitzt das Camouflage-Outfit hervor.

Ihre Tochter, Homburgs Angebetete Natalie (Alina Vimbai Strähler), ist bei Steckel ebenfalls Soldatin, eine verlässliche Kollegin quasi in der Elite-Einheit. Noch in den intimsten, gleichsam urmenschlichsten, seelisch entblößtesten Momenten – bei Steckel gehen Homburg und Natalie zur Verdeutlichung tatsächlich einmal in Unterwäsche aufeinander zu – werden sie den Marschrhythmus nicht los: Das Militärische hat sich in die Körpersprache regelrecht eingegraben.

Militärstiefel-Sohle auf Sandsack-Parkett

Jette Steckels Regieansatz lässt an Konsequenz nichts zu wünschen übrig: Weniger Militärromantik dürfte tatsächlich selten in einer Homburg-Inszenierung geherrscht haben. Konzeptionell zeigt sich hier eingedenk der aktuellen Weltlage ein Gegenwartsgespür, mit dem sich das Theater und die Kunst überhaupt sonst häufig schwerer tut.

Andererseits wird der Krieg auf der rein ästhetischen Ebene hier allerdings auch zu einem merkwürdig kunstwilligen Überwältigungsalbtraum in Breitbildformat und Dolby Surround. Da geben die Doors mit „Riders on the Storm“ den Schlachtfeld-Takt vor, da gehen Soldaten in geradezu malerischen Zeitlupen-Choreografien von Dominika Knapik zu Boden oder legen zwischendurch sogar mal eine regelrecht flotte Militärstiefel-Sohle aufs Sandsack-Parkett, die ziemlich schräg zum erzählten Inhalt steht. Damit muss man an diesem Abend irgendwie klarkommen; die Ambivalenz aus konsequenter Lesart auf der einen und einem Ästhetisierungskonzept auf der anderen Seite, das hart an dramatischen Kriegsstereotypen entlangschrammt, begleitet die Inszenierung zuverlässig.

Zu deren Radikalität gehört es dabei auch, dass das Personal sich nicht durch individuelle Markanz hervortut: Das Militär – respektive der Krieg – absorbiert hier tatsächlich alles; selbst die dramatischsten subkutanen Gefühlsaufwallungen werden nach außen hart abgedichtet. Auch das wirkt mitunter etwas plakativ und scheint den Text gewissermaßen zu unterspielen, ist aber konzeptionell durchaus konsequent. Auch wenn der Abend einem dadurch zwischendurch mal ziemlich lang werden kann.

Keine Gnade für sich selbst

Natürlich kann es hier – anders als im Text – kein Happy End geben, noch nicht einmal ein kleistisch-ambivalentes. Der einzige Ausweg aus dem soldatischen Dasein beziehungsweise aus der Kriegsrealität ist der Tod. Während der Prinz – nachdem er seine Verfehlung schließlich eingesehen, mithin seine Lektion gelernt hat und dafür zu sterben bereit ist – im Stück vom Kurfürsten begnadigt wird, greift er in Steckels Version final zur Pistole und bringt sich selbst um. Dazu spricht er den berühmten Satz, den Kleist vor seinem Suizid schrieb: „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“

Überhaupt streut Steckel punktuell immer wieder Zitate aus Kleist-Briefen in den Abend ein – namentlich über das soldatische Wesen (und seine – kurz gesagt – Inkompatibilität mit dem menschlichen). Eine Spur, mit der man natürlich auch Peter Steins Inszenierung von 1972 in der Schaubühne am Halleschen Ufer mit Bruno Ganz in der Titelrolle assoziieren kann, die den Protagonisten als Alter Ego des scheiternden Dichters Kleist las und das Drama als „Kleists Traum vom Prinzen Homburg“ spielen ließ. Steckel macht daraus einen umfassenden Albtraum von unserer Gegenwart.

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