zum Hauptinhalt
Maria Lobodas Marmorblock ist seit diesem Wochenende im Tropez im Sommerbad Humboldthain zu sehen.

© Tropez

Project Space Festival im Juni: Seelentröster am Beckenrand

Kunst, jenseits von Museen: Jeden Tag des Monats gibt es Programm in einem anderen Künstler-Projektraum der Stadt.

Hinterhof, Mehrgenerationenhaus, Kiosk, Gewächshaus, Sarotti-Fabrik, Berlin ist berühmt für seine von Künstler:innen organisierten, nicht-kommerziellen Ausstellungsräume an ungewöhnlichen Orten. Jeden Sommer lädt das Project Space Festival dazu ein, die große Vielfalt dieser Szene kennenzulernen. In diesem Jahr präsentieren sich 30 von einer internen Jury ausgewählte Räume mit Ausstellungen, besonderen Events, Performances und Gesprächen. Jeder Tag im Juni ist einem anderen Raum gewidmet.

Einer der ungewöhnlichsten Projekträume der Stadt ist das Tropez. Angesiedelt in einem Kiosk im Sommerbad Humboldthain feierte das Tropez am vergangenen Wochenende im Rahmen des Project Space Festivals Eröffnung. Den ganzen Sommer über sind nun wieder täglich Kunst und Performances mitten im Schwimmbadbetrieb zu erleben. 2017 von Nele Heinevetter gegründet, ist seit 2021 Sophie Boysen fürs Programm zuständig.

Kunst im Schwimmbad

Zum ersten Mal verteilen sich die Arbeiten in diesem Jahr über das ganze Schwimmbadareal und seine Liegewiesen. Zwischen den Hecken schwebt ein Papagei von Dardan Zhegrova. In einer Ecke weht eine auf Netzstoff gedruckte, malerische Installation von Christina Krys Huber zwischen Bäumen und erzählt von Metamorphosen. In diesem Jahr lautet das Thema der Ausstellung „Believe“.

Installation von Christina Krys Huber.

© Tropez

Als Gegenpol zur faktenbasierten Ausstellungsreihe im vergangenen Jahr geht es nun um das, was wir nicht sehen, um Dinge, an die wir glauben möchten, humorvolle Mythen und die Sehnsucht nach Rat – ob bei höheren Mächten oder bei Regierungen.

Raum für vielfältige Deutungen im Schwimmbadalltag bietet ein Marmorblock von Maria Loboda, in den die Künstlerin einen Jeans behosten Hinternabdruck mit Teufelsschwanz gegossen hat – der Schweif, einst heiliger Beweis für Prophetinnen, Göttinnen und Fabelwesen, gibt Rätsel auf. Das Objekt könnte Schutzfigur der Badenden sein oder Thron für einen strengen Bademeister.

Scherben in der Leipziger Straße

An diesem Montag lädt der Projektraum Scherben in der Leipziger Straße zum Public Cinema ein. Seit Ende Mai läuft dort die erste Berliner Einzelausstellung des Künstlers Onur Gökmen. Vorausblickend auf die Umbaumaßnahmen in der Leipziger Straße, die für 2024 angekündigt sind, hat Scherben den 1985 in Ankara geborenen Künstler zu einer ortsspezifischen Installation eingeladen, die Besucher:innen zum Austausch über Stadt- und Wohnraumkonzepte animiert.

Der Projektraum Scherben logiert in der Leipziger Straße. Hier eine frühere Ausstellung.

© Project Space Festival

Gökmens Thema ist die Verschränkung zwischen Architektur und Ideologie, in seiner filmischen und bildhauerischen Arbeit bezieht er sich auf historische Stätten ebenso wie auf Biografisches und die aktuelle (Bau-)Geschichte der Türkei. In seiner Ausstellung wird etwa die Stoßstange eines Opel Vectra zum „Turkish Chair“.

Neben dem Horrorfilm „Possession“, der Gökmens Ausstellung Titel und Konzept gab, wird auch ein Film von Gökmen selbst gezeigt. Anschließend findet ein Gespräch zwischen der Kuratorin Hendrike Nagel und dem Künstler statt.

Der Projektraum Spoiler in Wedding ist erst am Ende des Monats dran.

© Project Space Festival

Bei soft power, einem Projektraum in der ehemaligen Sarotti-Fabrik in Tempelhof geht es am 10. Juni um Kolonialismus und Geschichte. Ein Ausstellungsprojekt beschäftigt sich mit Denkmälern, Straßen, Gebäuden und Institutionen der Stadt, die wie die Sarotti-Fabrik mit dieser Geschichte verbunden sind.

Die Räume wandern

Wie es den Projekträumen geht, wo sie sich ansiedeln und von wo sie verschwinden, ist ein guter Spiegel für Berlins Immobilienmarkt und den Gentrifizierungsdruck der Stadt. So sagen es die fünf Mitglieder der Jury des Project Space Festivals, unter anderem Kate Brown vom Kreuzberger Projektraum Ashley oder Christopher Kline von Kinderhook & Caracas, ebenfalls in Kreuzberg.

Die Jurymitglieder haben sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Arts of the Working Class“ gegenseitig Fragen zur Situation der Projekträume gestellt. Die „komplette Narrenfreiheit weicht einer Professionalisierung“, sagt etwa Kira Dell vom Projektraum Neun Kelche. Ohne Förderung durch den Senat kommen immer weniger Künstler:innen überhaupt an Räume heran, und wer gefördert werden will, muss mehrjährige Konzepte vorlegen. Das mindert die Spontanität.

Im teuren Charlottenburg und Wilmersdorf gibt es traditionell kaum Projekträume, im gentrifizierten Neukölln werden es immer weniger, viele ziehen nach Wedding, wo sich derzeit noch am ehesten Räume finden lassen. Andere arbeiten nomadisch oder ganz ohne Raum. Freiräume finden sich immer irgendwie. Wichtig ist allen: das kollektive, nicht-profitorientierte, selbstbestimmte Arbeiten und einen Beitrag für die lokale Gemeinschaft zu leisten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false