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Kultur: Provinz ist überall

Barbara Albert über „Böse Zellen“, Sex und Verdrängung – und das fehlende Selbstbewusstsein vieler Frauen

„Böse Zellen“ spielt in der österreichischen Provinz. Was bedeutet die Kleinstadt für Sie?

Ich habe schon vor Jahren angefangen, das Material für diesen Film zu sammeln – in deutschen Städten wie Osnabrück, Hof und Duisburg. Was mich daran fasziniert hat, ist die Reduktion auf die behaupteten Grundbedürfnisse: Da gibt es die Einkaufsstraße, den Kindergarten, die Schule, klare Strukturen, Vater, Mutter, Kind, alles scheint einfach. Gedreht habe ich dann hauptsächlich in der Wiener Neustadt und in St. Pölten in Niederösterreich. Von außen betrachtet, scheint die Kleinstadt ein Modell fürs gesamte System zu sein.

Das Einkaufszentrum in Ihrem Film vereint am Ende sogar Altersgruppen und soziale Schichten, die sich sonst nicht begegnen.

Man trifft sich eben nicht mehr auf dem Markt oder am Hauptplatz. Deswegen habe ich das Zentrum auch für die Zwischenbilder genommen, die die Jahreszeiten ankündigen. Da symbolisiert nicht ein Baum das Verstreichen der Zeit, sondern das tun die Bauphasen des Shopping Centers.

Sie beschäftigen sich auch mit anderen Systemen: der Parallelwelt der Toten, der Religion, der Psychologie, der Chaosforschung ...

Das Interessante an der Chaosforschung ist, dass die Naturwissenschaftler eines Tages gesagt haben, wir können auch nicht alles berechnen. Die Menschheit kann nicht alles kontrollieren. Dieses Grundgefühl der Verunsicherung wollte ich vermitteln: dass man jederzeit etwas übersehen und in den Abgrund stürzen kann. Die anderen Gebiete helfen, mit der Komplexität der Welt umzugehen: Man hält sich fest, man glaubt, sich zumindest in einem Teilbereich auszukennen.

Die Frauen in Ihrem Film werden gedemütigt, enttäuscht, gekränkt. Die Einzige, bei der das anders sein könnte, stirbt relativ früh.

Meine Frauenfiguren sind passiv, auch schon in „Nordrand“. Sie sind eher getrieben als selbstbestimmt. Ich möchte gern selbstbestimmte Frauen zeigen, aber so ist die Realität nicht. Für meinen Dokumentarfilm „Zur Lage“ habe ich viele Frauen interviewt und war schockiert darüber, wie viele von ihnen das Gefühl haben, ihr Leben nicht in der Hand zu haben, sondern von Politikern oder ihren Männern abhängig zu sein. Sie lassen das nicht nur zu, sondern wollen es zum Teil nicht anders. Das liegt immer noch an der falschen Erziehung, die aufs Hausfrauen- und Mutterdasein zielte. Erst die Generation der jungen Mädchen jetzt ist, hoffe ich, ein bisschen selbstbewusster. Aber auch die haben ganz stark die Hoffnung auf den Mann als Retter. Das Glück liegt nie in ihnen selbst, sondern im Mann oder den Kindern, oder sie glauben an eine höhere Macht – Gott oder das Schicksal – , die es schon richten wird. So etwas gibt es bei Männern kaum.

Sie zeigen auch die Männer als Gefangene des Systems; sind sie deshalb so aggressiv gegen die Frauen, besonders beim Sex?

Komischerweise ist das ein Motiv, das sich immer wieder in meine Filme hineinschummelt. Das ist aber auch ein Teil der Realität. Ich wollte die Männer nicht als Bösewichte zeigen, sondern in ihrer Hilflosigkeit, wenn sie versuchen, Nähe zu finden.

Die Darstellerin der kleinen Yvonne, die ihre Mutter verliert, spielt wie ein Profi. Woher kommt sie?

Wir haben sie auf einem Spielplatz gefunden. Es ist schön, mit Laien zu arbeiten, auch mit erwachsenen. Man muss sich ohnehin auf alle einzeln einstellen, da macht es fast keinen Unterschied, ob jemand Schauspielerin ist oder Laie. Kinder wollen oft einfach nur wissen, was sie tun sollen und gar nicht drüber reden. Das ist für mich leicht. Sie können es auch fünfzehn mal haargenau gleich machen, viel exakter als Erwachsene. Weil sie sich besser konzentrieren können.

Warum zeigen die österreichischen Regisseure, anders als die deutschen, ihre Landsleute oft als hässliche, gemeine Kleinbürger?

Vielleicht haben wir nur die Fähigkeit, die Realität genauer anzuschauen. Das hat mit einem unterschiedlichen Blick auf die Geschichte zu tun. Wir haben noch viel mehr unbewältigte Vergangenheit als die Deutschen, haben nie gesagt, dass wir auch Schuld tragen. Lange haben wir gar nicht hingeschaut, was zwischen 1938 und 1945 bei uns passiert ist. Das erste Mal erst 1988, zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“. Wir waren immer die, die sich abgeputzt haben. Auch am Ersten Weltkrieg waren schon die Deutschen schuld. Da gibt es in Österreich jetzt eine Art Nachholbedürfnis. Besonders in Wien, wo viel Vergangenheit spürbar ist.

Sie sind eine der wenigen international erfolgreichen europäischen Regisseurinnen Ihrer Generation. Was ist das für ein Gefühl?

In Österreich bin ich eine von mehreren, denken Sie an Jessica Hausner und Ruth Mader. Da fällt es nicht besonders auf. Aber generell werden Frauen als Regisseurinnen nur bis zum einem gewissen Punkt anerkannt. Wenn es um Macht, große Festivals, große Wettbewerbe geht, haben die Frauen noch weniger Zutritt. Ich bin immer wieder entsetzt, wenn Journalisten etwa fragen: „Ist das nicht für eine Frau schwierig, am Set beim Regieführen akzeptiert zu werden?" Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Regisseuren ist immer noch so unausgewogen – und das ist absurd.

Das Gespräch führte Daniela Sannwald.

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