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Ungeschminkt. Vicky Krieps’ Sisi ist eine emanzipierte Monarchin, die sich Freiheiten herausnimmt.

© Vaz Palma/Alamode Film

Biopic über Kaiserin Sisi: Rebellin im goldenen Käfig

Eingeschnürt in Konventionen: Vicky Krieps spielt in Marie Kreutzers Historiendrama „Corsage“ den Habsburger Popstar Sisi mit leicht feministischem Unterton.

Ein edler Rücken, die vornehm blasse Haut, was sollen da die sichtbaren Striemen und Hämatome. Ist Elisabeth von Österreich ein Opfer häuslicher Gewalt? Wenn man so will. Nur dass sie sich die Schmerzen, die ihr das allmorgendliche Einschnüren ins Korsett bereiten, vorsätzlich zufügen lässt. „Fester, fester“, weist sie die Hofdame an. Und wenn die eine zu schwach ist, um den Panzer anzulegen, wird herrisch die nächste herbefohlen. Eng genug kann es nie sein für Elisabeth von Österreich-Ungarn, genannt Sisi.

Die österreichische Filmemacherin Marie Kreutzer reiht sich mit „Corsage“ in die derzeit angesagte feministische Lesart des Lebens dieses Popstars des 19. Jahrhunderts ein. Sissi, wie die Kaiserin in Ernst Marischkas Fünfziger-Jahre-Trilogie hieß, hat nichts mehr mit dem ungestümen, aber herzigen und letztlich Ehe, Familie und Rolle hochhaltenden Geschöpf gemein, das Romy Schneider einst verkörperte (und später in Viscontis Drama „Ludwig II“ noch einmal deutlich desillusionierter, distanzierter).

Taugt sie wirklich als Rolemodel?

Auch die für September angekündigte Netflix-Serie „Die Kaiserin“ zehren vom Rebellinnenappeal der 1837 geborenen Monarchin. Aber taugt die in Gemälden und Fotografien schon zu Lebzeiten zur Ikone der Jugend stilisierte Sisi tatsächlich als Rolemodel oder wird den Kostümdramen nur vermeintliche Relevanz untergejubelt?

Das Biopic „Corsage“, das im Mai nach Cannes eingeladen wurde, verweigert sich jedenfalls konsequent dem Ausstattungspomp als Selbstzweck. Statt höfischem Prunk dominieren kühle Schlossflure der Wiener Hofburg und abblätternde Residenzen in England und Ungarn, die vom Niedergang einer vormodernen Kaste erzählen. Auch die Natur – selbst die domestizierte im Park von Schönbrunn – wirkt abweisend. Nirgends Erbauung wie auf Madeira und Korfu, Elisabeths historischen Sehnsuchtsorten. Judith Kaufmann meidet Tableaus, die Kamerafrau pflegt eine kammerspielhafte Konzentration. Die kaum geschminkten Gesichtszüge von Vicky Krieps, deren feinnervige Schauspielkunst „Corsage“ zu der psychologischen Tiefe verhilft, die Marie Kreutzers Drehbuch der Selbstermächtigung gelegentlich vermissen lässt.

Double für die Öffentlichkeit

„Corsage“ beginnt kurz vor dem Weihnachtsfest 1877 in Wien. Elisabeths 40. Geburtstag fällt auf den Heiligen Abend. Großer Bahnhof mit Kinderchor, Hymne, Ehrengarde und den Honoratioren der Stadt, die Franz Joseph und Elisabeth begrüßen. „Sie gelten ja in der Stadt schon als Phantom“, zischt ein Herr der Kaiserin beim Handkuss zu. Und der andere erzählt ihr, dass seine Frau vermute, sie habe mit ihrem Gewicht zu kämpfen.

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Das ist in ihrer verbalen Respektlosigkeit eine eher unrealistische Szene, die dazu dient, den misogynen Ton der Männer-Gesellschaft zu setzen, gegen den die Regisseurin ihre Heldin rebellieren lässt. Mit einer vorgetäuschten Ohnmacht, die sie später auch ihrem genauso todessehnsüchtigen Busenfreund König Ludwig von Bayern (Manuel Rubay) beibringt.

„Ich habe dich beim Thema Ungarn nach Deiner Meinung gefragt“, schneidet Franz Joseph (ebenfalls wunderbar differenziert: Florian Teichmeister) abends beim gemeinsamen Souper der Gattin das Wort ab, die über die unruhige Lage in Sarajevo informiert werden möchte, „man verachtet mich bis heute dafür“. In seinen und den Augen des Volkes hat Elisabeth genau zwei Aufgaben: den Fortbestand der Habsburger Dynastie sichern, was sie mit vier Kindern erfüllt, und das Repräsentieren, was ihr in „Corsage“ so unerträglich wird, dass manchmal eine Hofdame als Double in der Öffentlichkeit herhalten muss.

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Dieses Detail ist über Elisabeth ebenso aktenkundig wie ihr lebenslanges Untergewicht, ihre einer Dauerflucht gleichkommende Leidenschaft fürs Reisen, Reiten, Wandern, Fechten, Turnen, für Heinrich Heine und die Poesie an sich (sie dichtet auch selbst). Elisabeth galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Den Körperkult, besonders um ihre zur Kronenfrisur getürmten Haare, befeuerte sie weidlich mit. Mehrere Stunden am Tag dauerte allein das Frisieren. „Corsage“ zeigt, was das heißt: ein Leben auf Dauerdiät aus Kalbsbouillon und hauchdünn geschnittenen Orangen. „Hauptsache, wir hinterlassen ein hübsches Bild“, sagt Sisi einmal resigniert.

Individuum gegen das Hofzeremoniell

In ihrem Ringen darum, als Individuum gegen die Erwartungen und das spanische Hofzeremoniell zu bestehen, ähnelt sie Princess Diana, die in Pablo Larraíns „Spencer“ als depressives, bulimisches Damenopfer der Königsfamilie entflieht. So hält es auch Sisi, die ihren Hofdamenzirkel zur Wahlfamilie ausbaut. Mit ihr selbst als launischer Matriarchin, die von ihren Damen dieselbe unbedingte Loyalität fordert, die sie Kaiser und Staat verweigert.

Elisabeth (Vicky Krieps) mit ihrem Busenfreund König Ludwig (Manuel Rubay).

© Robert Brandstätter

Ohne mit der Wimper zu zucken, verwehrt sie ihrer Vertrauten Marie Festetics (Katharina Lorenz) die Ehe mit einem Grafen. Dass es sich bei Sisis Käfig um einen goldenen handelt, verhehlt Kreutzer nicht. Sie spiegelt ihn sogar überdeutlich, wenn die Kaiserin Besuche bei angeketteten „Hysterikerinnen“ in der Anstalt macht. Oder wenn die Herrscherin in der Midlifekrise eine 18-jährige Bürgerliche als Geliebte für den Gatten „einkauft“.

(In 13 Berliner Kinos)

Was „Corsage“ interessant macht, ist der moderne Zugriff auf die Figur. Vicky Krieps redet wie eine Frau von heute, sie spielt Sisi naturalistisch. Auch die Popsongs von Camille arbeiten gegen jede Kostümfilmgemächlichkeit. Elisabeth von Österreich war ein souveräner Charakter. Sie kontrollierte ihr Image in der Öffentlichkeit, ließ sich ab Anfang 30 bereits nicht mehr fotografieren, nahm sich Freiheiten.

Die ewige Weiblichkeitsfalle, die Macht der Schönheit nutzen zu wollen, um akzeptiert zu werden, funktioniert heute noch genauso wie im 19. Jahrhundert. Kreutzer gibt ihrer fiktionalisierten Sisi die Möglichkeit, dieses Dilemma in einem passiv-aggressiven Prozess der Selbstauslöschung zu überwinden. Dieser kaiserliche Notausgang taugt allerdings wenig zum frauenpolitischen Ideal.

Doch weil auch eine zur frühen Emanze umgedeutete Sisi weiter ikonisch bleibt und die Geschichte von Liebe und Leid, Zwang und Rebellion bei Hofe gar so attraktiv und universell ist, geht es munter mit den Sisi-Festspielen weiter. Nicht nur auf Netflix, sondern mit dem Kinofilm: "Sisi und ich" von Frauke Finsterwalder, mit Susanne Wolff als Kaiserin. Und auch literarisch: Im September erscheint „Sisi“, der neue Roman von Karen Duve, die die Kaiserin, die eine glänzende Jagd- und Dressurreiterin war, für sich entdeckt hat – weil sie selbst Reiterin ist. Und Feministin sowieso.

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