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Johann Gottfried Schadows Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen, 1795.

© Stiftung Preussischer Kulturbesitz Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger

Schadow in der Alten Nationalgalerie: Im Schatten junger Mädchenblüte

Die erste Retrospektive seit rund 30 Jahren stellt in elf Kapiteln Johann Gottfried Schadows bildhauerische, grafische und kunsttheoretische Hauptwerke vor.

Seit jeher empfängt die „Prinzessinnengruppe“, jene innig verbundenen Mädchenfiguren in weißem Marmor, den Besucher in der Alten Nationalgalerie. Die preußischen Prinzessinnen, Luise und ihre jüngere Schwester Friederike, sind in der Darstellung durch den Bildhauer Johann Gottfried Schadow, der sie erstmals 1795 in Gips formte und erst später in Marmor, zu einer Prominenz gelangt, die es selbstverständlich erscheinen lässt, die Ausstellung zu Schadows Œuvre in der Alten Nationalgalerie ganz um dieses eine oder vielmehr gedoppelte Werk herum zu bauen.

Denn es sind tatsächlich zwei Originale, weil Schadow, 1788 zum Hofbildhauer am Berliner Hof ernannt - oder offiziell „Direktor aller Skulpturen“ -, den Gips als vollgültiges Werk angelegt und so auch in der Akademie ausgestellt hatte. Erst daraufhin kam der Erlaubnis von König Friedrich Wilhelm II., die Skulptur der beiden Schwestern, die im selben Jahr zwei Söhne des Königs geheiratet hatten, den Kronprinzen und seinen Bruder Ludwig, in Marmor auszuführen.

Ausstellungsansicht in der Alten Nationalgalerie.

© Photo © Thomas Bruns / @thomasb

Dabei hielt sich Schadow an die von ihm bereits überarbeitete Gipsfassung. Der Kronprinz, nunmehr König, störte sich an der Vertraulichkeit der Mädchenfiguren, die ihm in seiner - und der Königen Luise - Stellung unpassend erschien, und die Skulptur verschwand im Berliner Schloss, den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Populär war sie in grafischer Darstellung und als Replik in den unterschiedlichsten Maßen und Medien.

Schadow, Zeitgenosse der Romantik, war und blieb ein Jünger des Klassizismus, allerdings eines sehr naturnahen Klassizismus. „Ähnlichkeit mit Anmut zu vereinen“, beschrieb er sein Vorgehen anhand der Prinzessinnengruppe, „erfordert ein zartes Kunstgefühl und einen an List grenzenden Beobachtungsgeist.“ Es ist die Naturnähe, die Schadows ganzes Œuvre kennzeichnet, nicht zu verwechseln mit dem Naturalismus des späteren 19. Jahrhunderts. In den mädchenhaften Prinzessinnen fand er ein Sujet, das der Idealvorstellung des Klassizismus entsprach, ohne an Naturwahrheit einzubüßen.

Im „Schinkelsaal“ im dritten Obergeschoss der Alten Nationalgalerie sind beide Versionen, Gips und Marmor, überhaupt zum ersten Mal seit Schadows Atelier vereint, vervielfacht durch Spiegel an beiden Seitenwänden. Skulptur ist nicht immer, aber doch meist allansichtig, sie will umschritten werden; und die fließenden, antikischen Gewänder der jungen Frauen rechtfertigen das in der Feinheit des komplizierten Faltenwurfs allemal. Schadow, 1764 geboren, bekam mit zwölf Jahren Unterricht im Zeichnen und mit vierzehn in Bildhauerei. 1784 geht er nach Rom und studiert die antiken Skulpturen.

Johann Friedrich August Tischbeins „Luise und Friederike von Preußen“, um 1797.

© Foto: Mick Zollenkopf

Kaum zurück in Berlin, wird er 1788 als Nachfolger seines plötzlich verstorbenen Lehrers Tassaert zum Hofbildhauer ernannt; Mitgliedschaft in der Akademie inklusive. Eine steile Karriere, die ihn bis an die Spitze der Akademie und zur Mitgliedschaft in nicht weniger als acht europäischen Akademien führt. Und er ist über all die Jahre ungeachtet seiner Lehrverpflichtung und zahlreicher Verwaltungsaufgaben ungeheuer produktiv. Bis heute haben sich rund 400 Skulpturen erhalten, die er selbst und mit Hilfe seiner bestens organisierten Werkstatt ausgeführt hat.

Mein Ruhm ist in Rauch aufgegangen.

Johann Gottfried Schadow, Bildhauer

Rund 130 sind im Besitz der Alten Nationalgalerie. 27 Jahre nach der letzten Ausstellung schien es an der Zeit, diesen doch bestens bekannten Bildhauer erneut vorzustellen. Die Restaurierung der gipsernen Erstfassung der Prinzessinnen von 1795 gab den Anstoß; an ihr mussten mehrere Farbschichten entfernt werden. Weitere Skulpturen wurden ebenfalls restauriert, das entsprechende Programm der Ernst von Siemens-Kunststiftung, das zu Beginn der Pandemie für freischaffende Restaurator:innen aufgelegt worden war, half mit, und darüber hinaus fördert die Stiftung das Ausstellungsvorhaben mit nicht weniger als 400.000 Euro.

Yvette Deseyve, an der Alten Nationalgalerie für Bildhauerei zuständig, hat das gesamte dritte OG des Hauses zur Verfügung, das nun mit Skulpturen Schadows, aber auch zahlreichen Gemälden der Zeit ausgestattet ist. Dazu werden Einblicke in die Arbeitsweise und das Atelier des Bildhauers gegeben und heutzutage als problematisch angesehene Aspekte wie Schadows „Nationalphysiognomien“ nicht ausspart.

Schadow vermittelte Bildhauerei wie eine Wissenschaft

Schadow glaubte Bildhauerei nach Art einer exakten Wissenschaft vermitteln zu können; sein Lehrbuch „Polyclet“ fand in ganz Europa Verwendung. Dass er Menschen außereuropäischer Herkunft in Zeichnungen und Porträtbüsten festhielt, entsprang seinem aus der Aufklärung gespeisten Impuls, die Realität in aller denkbaren Vielfalt zu erforschen und zu erfassen.

Schon auf dem Höhepunkt seines Ruhms erwuchs ihm Konkurrenz. „Mein Ruhm ist in Rauch aufgegangen“, lautete sein vielzitiertes Bonmot, mit dem er die Bevorzugung seines Schülers Christian Daniel Rauch kommentierte, des Protégés von Wilhelm von Humboldt, der 1810 den Auftrag für die Liegefigur der jung verstorbenen Königin Luise im Mausoleum in Charlottenburg vermittelte. Von da an blieben Schadow Kommissionen abseits der großen Staatsaufträge und natürlich die Lehrtätigkeit an der Akademie, zu deren Direktor er 1816 berufen wurde; er blieb es bis zu seinem Tode Anfang 1850.

Verlässt man die Ausstellung nach absolviertem Parcours und wendet den Blick zurück, so fällt das gewaltige, 1790 vollendete Grabmal für den im Knabenalter verstorbenen Grafen von der Mark ins Auge. Es steht immer dort. Nur nimmt man die Feinheit der kindlichen Züge jetzt anders wahr. Und mit einem Mal kommt zu Bewusstsein, dass bei all’ den „berührenden Formen“, die der Untertitel der Ausstellung anspricht, die berühmteste Schöpfung Schadows in der Ausstellung fehlt, fehlen muss: die Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Sie war 1793 fertiggestellt und ist seither mehrfach restauriert, sogar neu gegossen worden. Dieser wichtigste Staatsauftrag Schadows kommt in der Ausstellung nicht vor.

Sie ist im Grunde eine Ausstellung zu den Prinzessinnen, die dem Besucher in den verschiedensten Abformungen und Materialien begegnen. Ihre Skulptur wird gezeigt als populäres wie privatistisches Image des 19. Jahrhunderts, das doch das Jahrhundert der repräsentativen Staatsbildhauerei war und mit Schadow wurde. Nur nicht in dieser Ausstellung.

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