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Jean Fouquets „Madonna von Melun“ im Königlichen Museum der Schönen Künste, Antwerpen.

© Wikipedia/JEAN FOUQUET

Serie „Mein Glücksmoment“ (2): Wechselgeld und Plüschkamele

Christiane Peitz erfährt ihn im Kreuzberger Bürgeramt und Antwerpener Museum der Schönen Künste.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

2023 war geprägt von Terror, Kriegen und Zerwürfnissen. Wir suchen in dieser Feuilleton-Serie zwischen den Jahren nach dem kleinen Glück, das das Unglück eine Spur erträglicher gemacht hat.

Das Glück liegt bekanntlich auf der Straße. Oder im Bürgeramt. Auf der Webseite ploppt ein kurzfristiger Termin auf, hurra, nichts wie hin. Aber kaum bin ich an der Reihe, erfahre ich, dass die Passfotos nicht aktuell genug sind, und einen Zehner-Schein für den Fotomaten habe ich auch nicht dabei. Der junge Mann am Desk nebenan bemerkt meine Not und hilft bereitwillig mit Wechselgeld aus: der Beginn eines 15-Minuten-Kammerspiels über Zugewandtheit und Hilfsbereitschaft.

Schlangestehen am Fotomaten: Der will den Schein der Frau vor mir nicht schlucken, andere Wartende reichen ihr glattere Zehner, bis einer passt. Auftritt der alten Dame: Eine vom Behördengang sichtlich überforderte Rentnerin kommt aus dem Fahrstuhl und fragt leise etwas auf Russisch. Woraufhin eine ebenfalls wartende Polin ihr spärliches Russisch hervorkramt, der wiederum ein uniformierter Aufseher mit fließenden Sprachkenntnissen beispringt.

Anschließend wird die Polin von der Frau hinter ihr wegen ihrer Sprachkenntnisse angesprochen, die beiden plaudern bald angeregt miteinander. Ein munterer stream of consciousness, in wenigen Minuten lerne ich einiges über Ostpreußen, Adelstitel und Freikirchen. Was für ein Höhenflug.

Meinen kulturellen Glücksmoment hatte ich dieses Jahr im Königlichen Museum der Schönen Künste in Antwerpen, bei den Alten Meistern. Ein riesiger Rubens steht quer, per Video-Zoom schauen wir zu, wie gerade der Farbauftrag auf fünf Quadratzentimetern Bildfläche restauriert wird. Auf der roten Samstpolsterbank gegenüber räkeln sich Kamele, frei nach den Tieren auf Rubens‘ „Anbetung der Könige“. Eine Plüschinstallation, Herumturnen ist ausdrücklich erwünscht.

Ein paar Räume weiter leuchtet uns Jean Fouquets „Madonna von Melun“ von 1452 entgegen, jenes blauweißrote Marienbild, dessen kühn-abstrakte Modernität einem den Atem raubt. Die Mätresse des Königs soll Modell gestanden haben, für die erotischste Muttergottes der Welt, heilig, sinnlich, politisch, von blutroten Engeln umgeben.

Die Kuratoren haben sie mit Werken von Rubens, van Eyck, Luc Tuymans und Marlene Dumas umgeben. So reden die Bilder über die Jahrhunderte hinweg miteinander, und kein Wärter, kein Alarm-Piepsen schreckt sie oder die Betrachterin auf, egal wie dicht man herantritt. Wie ist das möglich, ein derart diskretes Sicherheitssystem? Details werden vom Museum auf Nachfrage natürlich nicht verraten, nur so viel, dass intelligente Kameras, Fernsignale und Laser-Vorhänge dabei eine Rolle spielen.

Was das Bürgeramt und das Museum gemeinsam haben? Den freundlich geregelten oder sich selbst regelnden Publikumsverkehr. Und dass das Glück genau da lauert, wo das Profane und das Erhabene sich nah sein.

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