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Essayist, Dichter, Übersetzer. Der Schriftsteller Jan Wagner.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur

„Steine und Erden“ : Der Lyriker Jan Wagner knüpft dichte Bildernetze

In Jan Wagners neuem Gedichtband erscheint der Dichter als Jäger, der mit Tinte oder Druckerschwärze auf die Welt losgeht.

Von Gisela Trahms

Feuerfarben leuchtet das Cover, Autorenname und Titel treten in stämmigen Lettern hervor, obwohl Jan Wagners Gedichte bislang doch als leise und feinsinnig wahrgenommen wurden. Hat es damit zu tun, dass es mal eine Gewerkschaft namens „Bau Steine Erden“ gab und eine Gruppe namens „Ton Steine Scherben“?

Hören wir Rio Reiser singen, während wir im Titelgedicht „Steine & Erden“ auf der Autobahn unterwegs sind und eine Baustelle passieren, wo ein Schild mit geballter Gewerkschaftsfaust vor sich hin rostet? Soll uns klar werden, dass Steine uns eher im Weg liegen, als dass sich ein Leben auf sie bauen ließe? Andererseits die Erden, so vielfarbig und ihre Benennungen so poetsietauglich („grauwacke“, „schluff“) wie die Menschenvölker!

Mit diesem großen Gedicht endet das Buch, in dem es um alles und noch viel mehr geht. Zahllos und neu die Bilder zwischen Grund und Boden bis ins Weltall hinein.

Das erste Gedicht heißt „reifen“ und spielt mit der Ambivalenz von „reifen“ und „Reifen“. Es huldigt den Göttern „dunlop, goodyear, pirelli“, aber auch dem Kinder-Ich, in dem die Zuversicht wächst, kälter zu „werden, dichter, // von tieferem schwarz, bis nichts mir mehr entkommt“.

Reiche Beute

Mühelos begegnen sich Kindheit und Reife, Produziertes und Natürliches, Abfall und Faszinosum. Der Dichter erscheint als Jäger, der mit Tinte oder Druckerschwärze wie mit einer Waffe auf die Welt losgeht. Reiche Beute macht er, aber ein Hauch von Schuld ist auch dabei, wenn er die Realität „erledigt“, indem er sie ins Wort presst.

Jan Wagner ist ein Virtuose der Wahrnehmung, dazu Besitzer eines Wortschatzes, der den Leser nach Luft schnappen lässt. Einer der schönsten Texte ruft uns die Wespen vor Augen, wie sie, klein, aber effektiv, die Gartenstühle zernagen („das ganze Möbel / wie nicht gewesen“).

Die Wespe war auch das Wappentier von Thomas Kling, dem niederrheinischen Revolutionär der Poesie, und da wird es aufs Neue zitiert, das „schwarz“ der Druckerschwärze, das den Gegensatz bildet zum leuchtenden Weiß der Wespennester: „papierne monde, meerschaum, gischtstandarten. / ein summen, summen überm leeren garten.“ Das ist als Heimholung eines Stücks Natur wie als diskrete Huldigung vollkommen und die Lektüre ein Genuss.

Ungewohnter Sinn

Wagners Lyrik löst die Wörter aus dem üblichen Gebrauch, knüpft Bildernetze und sorgt für ungewohnten Sinn. Soviel Schönheit besitzt die Welt, und jeder gelungene Text fügt ihr noch etwas hinzu.

Der Formenreichtum und die schiere Brillanz mögen einen untrainierten Leser vielleicht ermüden, aber das gilt für Lyrik allgemein, die uns in heftigen Konzentraten viel zumutet. Sie ist „die reine, leuchtend weiße hieroglyphe“, die als Vogel Ibis mitten durch den Verkehr in Melbourne schreitet, „unbeirrbar“, ganz für sich und doch für alle.

Sie trennt uns nicht vom Alltag, im Gegenteil: Sie zeigt uns, wie reich er ist, wie intensiv, freilich auch bedrohlich und niederschmetternd, was keineswegs verschwiegen wird. Geben wir der Sprache Zeit und schauen hin. Andante con moto, fordert nicht nur die Musik.

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