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Der letzte öffentliche Raum: Das Pub von T. J. Ballantyne (Dave Turner) ist die einzige Kneipe im alten Bergbaudorf im Nordosten Englands, die noch nicht geschlossen hat.

© dpa/Wild Bunch

„The Old Oak“ von Ken Loach: Letzte Verteidigung der Habenichtse

Ken Loach, der Meister des sozialkritischen Films, gibt in „The Old Oak“ die Hoffnung auf Solidargemeinschaften und das Gute im Menschen nicht auf. Umso unverständlicher: sein beharrlicher Israel-Boykott.

Sie hätten die Welt ändern können, wenn ihnen klar gewesen wäre, was für eine Macht sie haben, sagt der Kneipenwirt, den alle nur T.J. nennen (Dave Turner), über die streikenden Grubenarbeiter der 1980er Jahre. Aber sie wollten es nicht wissen. Heute herrscht in den Bergbaudörfern im Nordosten Englands Trostlosigkeit.

Heruntergekommene Backsteinhäuser, vernagelte Schaufenster, geschlossene Schulen: Wer konnte, ist weggezogen, die Übriggebliebenen sitzen im Pub „The Old Oak“ und schimpfen. Es ist der letzte öffentliche Raum in dem kleinen Ort in der Grafschaft Durham. Im vollgerümpelten Hinterzimmer hängen Schwarz-Weiß-Fotos von besseren Zeiten, den Streikaktionen und Festen der Dorfgemeinschaft.

Halt, stopp, kann man so über den wohl wirklich allerletzten Film von Ken Loach schreiben, der von diesem Pub, seinem Betreiber und der Ankunft syrischer Flüchtlinge handelt, ohne das alte Problem mit dem Regie-Veteranen zu erwähnen, das von neuer, dramatischer Aktualität ist?

Der mittlerweile 87-jährige Meister des sozialkritischen Kinos ist seit vielen Jahren ein energischer Anhänger des BDS. Er boykottiert Israel und Veranstaltungen, die mit israelischen Geldern unterstützt werden, und nannte die Antisemitismus-Kritik an Labour und dem damaligen Parteichef Jeremy Corbyn eine Schmierenkampagne – bis er selbst 2021 aus der Partei ausgeschlossen wurde.

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Ein besonders schwieriger Fall, denn Loachs filmisches Werk ist nicht von seiner harschen Israel-Kritik kontaminiert, die der kleine, schmale Mann mit der sanften Stimme auch in Tagesspiegel-Interviews immer verteidigt hat. Stets mit Verweis darauf, dass der Staat internationales Recht bricht und sich Land nimmt, das ihm nicht gehört.

Mit Dialekt und leisem Humor

Gleichzeitig konnte man sich immer darauf verlassen, dass Ken Loachs Filme sich der Entrechteten annehmen, der Arbeiter, Arbeitslosen, Abgehängten. Und dass er es ähnlich empathisch tut wie sein finnischer Autorenfilmer-Kollege Aki Kaurismäki, nur weniger lakonisch als sozialrealistisch. Filme im Dialekt, mit Laiendarsteller:innen und leisem Humor: Das sind die Markenzeichen des Sozialisten und Trotzkisten Loach.

Eigentlich wollte er schon vor zehn Jahren mit dem Filmemachen aufhören. Dennoch hat er mit seinem langjährigen Drehbuchautor Paul Laverty seitdem drei Filme über die Menschen im abgehängten Nordosten realisiert. Über den Kampf eines arbeitslosen Zimmermanns mit den Behörden („I, Daniel Blake“, 2016), über einen Paketzusteller, der gemeinsam mit seiner als Altenpflegerin tätigen Frau in der Gig Economy unter die Räder kommt („Sorry We Missed You“, 2019), und jetzt über den vom Leben enttäuschten Kneipier T. J. Frau und Sohn haben sich von ihm abgewandt, als Gefährte bleibt ihm nur Marra, sein zotteliger Hund.

Weil die Gegend weitab vom Schuss liegt und der Wohnraum von Spekulanten heruntergewirtschaftet wurde, werden ausgerechnet hier im Grubendorf Geflüchtete in Bussen angekarrt. Zwangsgemeinschaft der Habenichtse: Laura (Claire Rodgerson) und andere Freiwillige versorgen die vom Krieg traumatisierten syrischen Familien mit dem Nötigsten, während die Alteingesessenen im Pub gegen die Fremden hetzen. Als T. J. sich mit der jungen Syrerin Yara (Ebla Mari) anfreundet, wird es schwierig für ihn, sich weiter aus allem herauszuhalten.

„Eat together, stick together“

Die Ausländerhasser wollen sein Hinterzimmer für eine Versammlung, die Helfer wollen gratis für alle Bedürftigen kochen. „If you eat together, you stick together“ lautete ein Slogan aus der Streik-Ära. Yara ist Fotografin, auch ihre Schwarz-Weiß-Fotos, Straßenszenen und Porträts der neuen und alten Dorfbewohner erinnern an früher.

Sie verteidigen einen Humanismus, vermeintlich altmodische Tugenden wie Solidarität oder Hilfsbereitschaft, für die Loachs mit zahlreichen Preisen (darunter zwei Goldenen Palmen) ausgezeichnetes Gesamtwerk aus über 30 Filmen steht wie kaum ein anderes. Auch „The Old Oak“, uraufgeführt im Mai in Cannes, beharrt auf die Chance einer Gemeinschaft der von der Politik verratenen Menschen.

Das Hinterzimmer des Pubs wird in eine Volksküche für alle einheimischen und geflüchteten Bedürftigen verwandelt.

© Wild Bunch Germany

Aber nur guter Wille genügt nicht. Die Volksküche im Pub bringt die Menschen zusammen, ist wegen ihrer Widersacher jedoch nicht von Dauer. Die traumatisierenden Verluste häufen sich. Dennoch endet Loachs letzter Film nicht mit der schmerzlichen oder gar zynischen Einsicht in die Vergeblichkeit, sondern mit der trotzig-stillen Utopie einer Versöhnung. Naiv? Loach hört einfach nicht auf, an das Gute im Menschen zu glauben.

So ist „The Old Oak“ auch ein Episoden-Melodram über die schier übermenschliche Anstrengung der Hoffnung, rhythmisiert durch kurze Schwarzblenden. Yara lässt T.J.s verkrustete Wunden aufbrechen, indem sie von ihrem Vater im syrischen Gefängnis erzählt: Die Familie weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Einmal sitzen die beiden in der grandiosen Kathedrale von Durham, und Yara erinnert sich an den zerstörten Tempel von Palmyra.

Ob Hoffnung nicht obszön sei, habe eine Freundin sie gefragt. Drehbuchautor Laverty zitiert in den Produktionsnotizen den heiligen Augustinus: „Die Hoffnung hat zwei schöne Töchter: Sie heißen Wut und Mut.“ Die Wut darüber, wie die Dinge sind, und der Mut, sie verändern zu wollen, auf diesem Grundsatz fußte Loachs Arbeitsleben.

Schwer zu ertragen, dass Ken Loach sich auf der Leinwand einmal mehr simplen Gut-Böse-Schemata verweigert und der Kompliziertheit im Alltag zwischen Einheimischen und Geflüchteten Rechnung trägt, während sein Blick auf Nahost undifferenziert bleibt. Zum Terror der Hamas und dem Krieg in Gaza hat er sich bislang nicht geäußert.

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