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Brendan Fraser in "The Whale"

© A24

„The Whale“ im Kino: Ein Oscar für die Augen von Brendan Fraser

Regisseur Darren Aronofsky versteht sich auf spektakuläre Comebacks für gefallene Hollywoodstars. Aber was genau zeichnet sein Kammerdrama „The Whale“ aus?

Von Andreas Busche

Brendan Fraser hat es in seiner Oscar-Rede Mitte März mit den maritimen Sprachbildern vielleicht etwas übertrieben. Zweifellos hat Regisseur Darren Aronofsky ihm bei seinem emotionalen Comeback mit „The Whale“ eine „kreative Rettungsleine“ zugeworfen, die den vergessenen Hollywoodstar der 1990er wieder „an Bord“ holte.

Und auch im Überwältigungspathos seiner Lobrede, dass „nur Wale“ – beziehungsweise Fraser unter den Körperprothesen seiner 300-Kilo-Figur – in den „Tiefen des Talents“ seiner Drehpartnerin Hong Chau „tauchen“ können, steckt ein wahrer Kern.

Aber die blumigen Worte wiesen in der rauschenden Hollywoodnacht auch auf ein gravierendes Problem des Films hin, der unter seinen Metaphern dramaturgisch ähnlich ächzt wie seine Hauptfigur beim Verzehr einer XXL-Pizza.

Aronofsky war nie ein Regisseur der subtilen Töne. In seinen besseren Momenten, wie in dem Balletthorrordrama „Black Swan“ mit Natalie Portman oder dem Mickey-Rourke-Comeback „The Wrestler“, gelingt ihm die schwierige Gratwanderung zwischen Camp und Psychologie. In seinen schwächeren Filmen muss sich der Regie-Zampano auf seine Hauptdarstellerinnen und -darsteller verlassen – was zuletzt schon in „Mother!“ nach hinten losging.

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Wie der Vorgänger ist „The Whale“, basierend auf dem gleichnamigen Off-Broadway-Stück von Samuel D. Hunter, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ein Kammerspiel. Doch wo „Mother!“ in die verstörende Fantasie des von Javier Bardem gespielten Autors mit Schreibblockade eintaucht, bleiben Aronofsky und sein (seit „Black Swan“) Stamm-Kameramann Matthew Libatique ganz nah am Gesicht – und dem Körper – von Fraser, der abwechselnd wie eine amorphe Spezies aus der tiefsten Tiefsee oder wie eine Jahrmarktsattraktion vorgeführt wird.

Diät mit Pizza, Fleischbällchen-Sandwiches und Cola

Wenn Charlie sich das erste Mal aus dem letzten Loch pfeifend aus der Couch erhebt, schwillt die Musik von Rob Simonsen dramatisch an. Der Ausdruck in den Augen Frasers, das einzige Körperteil des Schauspielers, das noch zu einer emotionalen Regung fähig ist, wird in kalkulierten Dosen akustisch verstärkt. Aronofsky war immer schon ein gewiefter Manipulator.

„The Whale“ spielt in den letzten Tagen des ehemaligen Literatur-Professors Charlie, der nach dem Suizid seines Lebenspartners Alan seinen Kummer mit Pizza, Fleischbällchen-Sandwiches und Cola betäubt. Am Montag ist sein Blutdruck so hoch, dass er nicht mehr lange zu leben hat, sollte er sich nicht umgehend in ärztliche Behandlung begeben, wie ihn seine beste Freundin und Pflegerin Liz (Hong Chau) warnt. Den Rest der Woche wird Charlie damit beschäftigt sein, die wichtigsten Beziehungen in seinem Leben zu reparieren.

 Liz (Hong Chau) pflegt ihren übergewichtigen Freund Charlie.
 Liz (Hong Chau) pflegt ihren übergewichtigen Freund Charlie.

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Aronofsky macht sich gar nicht erst die Mühe, die Theater-Herkunft seines Stoffes zu verhehlen. Das schummerige Apartment wird zur Bühne, auf der ständig jemand zur Tür hereinplatzt: neben Liz bei ihren Hausbesuchen auch seine Ex-Frau Mary (Samantha Morton), vor allem aber ihre gemeinsame Teenager-Tochter Ellie („Stranger Things“-Entdeckung Sadie Sink), die Charlie acht Jahre zuvor beide für einen Mann verließ. Gelegentlich schaut noch ein junger Missionar (Ty Simpkins) vorbei, der derselben Kirche angehört, die Alan in den Suizid trieb – und von der sich auch Liz einst abwandte.

Der Wal als existenzielle Metapher

Charlies Säulenheiliger – und Rettungsanker, um im Sprachbild zu bleiben – ist Herman Melville und dessen Epos „Moby Dick“, das Generationen von Literaturexegeten beschäftigte. Aronofsky bedient sich allerdings nur der offensichtlichsten Bedeutungsebene, wobei nicht einmal klar wird, ob Charlie nun eher Ahab oder Moby Dick ist. (Oder doch der Erzähler Ishmael?) Schlussendlich ist aber auch das egal: Die Metapher steht gewissermaßen wie der weiße Wal im Raum, mit jeder Kamerafahrt über Frasers grotesken Körper.

Dass Adipositas tatsächlich, und besonders in den USA, auch ein gesellschaftliches Problem ist (und nicht bloß ein Schauwert zwischen Mitleid und Voyeurismus), wird nur dahingehend thematisiert, dass Charlie sich weigert, ins Krankenhaus zu gehen, weil er über keine Krankenversicherung verfügt.

Charlies Versuche, wieder Kontakt zu seiner sich von ihm entfremdeten Tochter aufzunehmen, erweisen sich als ebenso hilflos (er bietet Ellie erst an, ihr beim Schul-Essay zu helfen, und dann, sie für ihre Besuche zu bezahlen) wie Aronofskys Bemühungen, seiner Inszenierung ein genuines Gefühl abzugewinnen. Ellie zum Beispiel ist der nervigste Kino-Teenager seit Langem; Sinks Spiel zwischen Trotz, Verachtung und Zynismus kennt keine Zwischentöne.

Ihre Körpersprache ist ein einziges Bollwerk, an dem Charlies Larmoyanz wirkungslos zerschellt. Hong Chau löst die Spannungen mit verzweifeltem Humor, aber je mehr Personen sich in dem kleinen Apartment drängen, desto mehr kippt das Drama in eine Soap Opera: Es wird geschrien, geheult und gekotzt. Auch eine Form der Katharsis.

Melancholische Augen unter Fettprothesen

Und so lässt schließlich auch die preisgekrönte Besetzung von Fraser Zweifel aufkommen. Sind es wirklich die melancholischen Augen Charlies unter allerlei handgemachten und digitalen Fettprothesen, die eine emotionale Reaktion beim Zuschauen auslösen? Oder ist es doch eher das sagenhafte Comeback eines gefallenen Hollywoodstars, dem nach zahlreichen persönlichen und beruflichen Niederschlägen noch einmal Genugtuung widerfährt?

Diese Konvergenz von Star und Figur machte vor 15 Jahren Aronofskys „The Wrestler“, ebenfalls eine Vater-Tochter-Geschichte mit erhöhtem Kitschfaktor, trotz aller manipulativen Kräfte hinter Mickey Rourkes wächserner Botox-Maske immerhin zu einem bewegenden Drama.

Dieser Film hatte aber auch etwas über die Ausbeutungsverhältnisse im Showgeschäft zu erzählen, in ihm versteckte sich die Autobiografie seines Hauptdarstellers. Die kann ein Brendan Fraser im Adipositas-Kostüm nicht für sich reklamieren. Seine Rolle wirkt eher wie ein Stunt, mit dem Aronofsky sich noch einmal auf den Trick seines Wrestlingdramas beruft.

Natürlich lebt Hollywoods Starsystem seit jeher von solchen Projektionseffekten. Die traurigen Augen Charlies sind die traurigen Augen Brandan Frasers, der von der Filmbranche einfach vergessen worden war. Schon sein eigentliches Comeback, den bereits abgedrehten „Batgirl“-Film, in dem er den Bösewicht spielt, hatte Warner Bros. im vergangenen Sommer herzlos einkassiert.

Und so fungiert am Ende der Wal, vielleicht auch nicht ganz unbeabsichtigt, als platteste aller Metaphern in einer Filmindustrie, deren Stars blind der Zuneigung des Publikums hinterherjagen. Bei Melville muss der Protagonist seine Obsession mit dem Leben bezahlen. Aronofskys menschlicher „Wal“ findet dagegen im Moment seines Endes noch Erlösung. Comeback gelungen – Patient tot.

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