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Auf dem Weg in die kleinen Katastrophen: Das neue Ronen-Stück. Foto: imago/Müller

© imago/Martin Müller / IMAGO/MARTIN MÜLLER

Therapietreffen in der Wüste: Neues Stück von Yael Ronen am Maxim Gorki Theater

Familienzusammenführung alternativ: „Blood Moon Blues“ bringt schillernde Typen zusammen - die dann doch immer nur an sich selbst denken.

So hatte sich Gabriella das nicht vorgestellt. Da beruft ihre Lebenspartnerin Elinor eine Art Familientreffen in der israelischen Wüste ein und lässt die Einladung von einem zwanzigjährigen Kimonoträger überbringen, dessen Outfit knapp über der Leistengegend endet und der sich als Elinors „Soulmate“ vorstellt: Der Sex mit ihr sei wirklich großartig. Entsprechend pikiert steht Vidina Popov als Gabriella an der Rampe, eine Hand an den hochpreisigen Leoprint-Blazer gepresst, mit der anderen am Griff ihres Marken-Rollkoffers Halt suchend.

Der Sunnyboy, dem Doga Gürer eine wirklich formvollendete Nullchecker-Naivität verleiht, lässt sich natürlich auch von Elinors Tochter Luna nicht ausbremsen in seinem situationsgespürfreien Dauermonolog. Die kontrollierte Luna (Aysima Ergün) steht kurz vorm medizinischen Staatsexamen und ist von ihrer Mutter viel zu oft enttäuscht und belogen worden, um deren Einladung als SOS-Ruf ernstnehmen zu können. Letztlich macht sich das Trio, wie es die Well-Made-Play-Gesetzmäßigkeiten wollen, natürlich doch auf den Weg. Wobei Luna für Elinors Kimono-Lover immerhin den sachdienlichen Rat parat hat, sich bei Gelegenheit mal eine Hose überzustreifen.

Von wegen progressiv

Eigentlich steckt ja einiges drin in dieser Komödien-Konstellation, die sich die Regisseurin Yael Ronen und die Schauspielerin Orit Nahmias für ihr gemeinsames Stück „Blood Moon Blues“ am Maxim Gorki Theater ausgedacht haben. Zum Beispiel die Frage, wie lauter sich selbst als progressiv labelnde Menschen tatsächlich umgehen mit einer Frau und Mutter, die althergebrachte Frauen- und Mütterlichkeitserwartungen mit Grandezza torpediert, wenn diese Torpedierung ihnen selbst wehtut.

Plotverschärfend kommt hinzu, dass Elinor, von der wir vor ihrem ersten Auftritt erfahren, dass sie nächtens nackt mit den Wölfen heult, sofern sie nicht gerade als erfolglose Schriftstellerin an ihrem neuesten Buch arbeitet, bipolar und ihre Partnerin Gabriella gleichzeitig auch noch ihre Ärztin ist.

Zwischen Sex und Krankheit

Wie sieht es also aus mit der viel beschworenen Beziehungsarbeit, wenn strukturell unklar bleibt, wo die Persönlichkeit endet „und die Krankheit beginnt“, wie es im Stück heißt? Auch so eine Frage, die unter der bisweilen etwas arg originalitätsverkrampften Lustig-Lustig-Oberfläche steckt.

Aber wenn Orit Nahmias, die selbst Elinor spielt, dann tatsächlich auftritt in Wolfgang Menardis Wüsten-Bühnenbild, wird de facto kaum an der Oberfläche gekratzt. Im Grunde verkörpert Nahmias eine ziemlich heftige Figur, die jedes (Nähe-)Bedürfnis, das von anderen an sie herangetragen wird, in beiläufig-unbarmherziger Boomerang-Manier zurückschmettert. Gabriella möchte angesichts des Kimono-Lovers über ihren Beziehungsstatus sprechen? Welch enttäuschende Egomanie! Luna will endlich wissen, wer ihr Vater ist. Ja, denkt denn hier eigentlich jeder und jede nur an sich?

Aber merkwürdigerweise machen all diese Schleudersätze und Plottwists praktisch gar nichts mit den Figuren. Selbst jene vermeintlich überraschende Mitteilung, die als Anlass der Versammlung firmiert, eigentlich alles Bisherige aus den Angeln heben soll, ändert wenig an der Temperatur der Veranstaltung: Der Abend plätschert weiter von einem kurz angetippten Thema zum nächsten, von einem angerissenen Dialog zu anderen.

Eigentlich macht der Autorin und Regisseurin Yael Ronen in dieser Disziplin niemand etwas vor: Stereotype als Startrampe zu nutzen, um sich dann mit scharfem Witz in jene Abgründe vorzuarbeiten, in denen die Widersprüche, blinden Flecken und Schmerzpunkte lauern. Und auch Orit Nahmias hat - als Schauspielerin - diese Fähigkeit in unzähligen Ronen-Abenden bewiesen. Gerade in den Stückentwicklungen, die ja oft in Zusammenarbeit mit dem Ensemble entstehen und aus den biografischen Hintergründen der Spielenden schöpfen.

Wenn Ronen und Nahmias jetzt erstmals als Autorinnen-Duo zusammenarbeiten, gelingt die Grabungsarbeit leider nicht. Vieles bleibt erstaunlich hartnäckig im Klischee stecken. Es ließen sich jede Menge Ronen-Abende mit Nahmias aufzählen, die dort, wo „Blood Moon Blues“ endet, überhaupt erst beginnen. So bleibt viel Hoffnung für Künftiges.

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