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© IMAGO/UKRINFORM/IMAGO/Vyacheslav Madiyevskyy

Ukrainisches Kriegstagebuch (187): Spenden sammeln statt feiern

Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.

Eine Kolumne von Yuriy Gurzhy

14.1.2024
Sein erstes Buch hat der 33-jährige ukrainische Lyriker Maksym Krywzov „Gedichte aus der Schießscharte“ genannt. Die Erstauflage dieses Gedichtbandes wurde vor wenigen Tagen vollständig ausverkauft – ein Ereignis, das heutzutage nicht oft vorkommt, noch seltener bei Poesiebüchern.

Angesichts der starken Nachfrage hat der Verlag eine Neuauflage angekündigt und bekannt gegeben, dass sämtliche Erlöse gleichmäßig zwischen der Familie des Autors und einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Bildungsprojekte zugunsten des ukrainischen Militärs einsetzt, aufgeteilt werden. Leider kann der Autor diesen Erfolg nicht mehr miterleben, da er am 7. Januar an der Front gefallen ist – gemeinsam mit seinem Kater, mit dem er sich im Jahr 2022 freiwillig zum Militärdienst gemeldet hatte.

Die Fotos von Krywzov – mal mit Dreadlocks und dem Kater, mal in Uniform und sein Buch in der Hand haltend, oder auch in ziviler Kleidung, umringt von fröhlichen Jungen und Mädchen, die er kürzlich noch in einem Abenteuer-Ferienlager im Westen des Landes betreut hat – dominieren momentan meinen Facebook-Feed und sind auf jeder ukrainischen Nachrichtenseite, der ich folge, präsent.

Diese Bilder anzuschauen ist schmerzhaft, es zerreißt einem das Herz. Am Donnerstag versammelten sich Hunderte im Zentrum von Kiew, um Maksym die letzte Ehre zu erweisen. Als sein Sarg aus dem St. Michaelskloster getragen wurde, erklang Luftalarm, habe ich irgendwo gelesen.

Angriffe auf Hotels

Dieser durchdringende, schrille Klang ist seit beinahe zwei Jahren in den ukrainischen Städten zu hören, sowohl tagsüber als auch nachts, wie ich selbst bei meinen letzten Reisen dorthin feststellen konnte.

„Hotels, sie zielen auf Hotels“, meinte Serhij Zhadan bei unserem Telefonat vorgestern, und ich erinnerte mich daran, wie er dasselbe bereits im vergangenen Oktober behauptete, als ich in Charkiw war und mich für ein Hotel und nicht für die Künstlerresidenz des Literaturmuseums entschieden hatte. Damals hatte ich offenbar Glück, denn es war relativ ruhig und es gab keine Luftangriffe.

Leider wird meine Heimatstadt nun wieder viel zu oft von russischen Raketen heimgesucht, und vorgestern traf es erneut ein Hotel, schon das dritte in den letzten Wochen.

Ursprünglich rief Serhij an, um mir zum Geburtstag zu gratulieren. Ich scherzte, dass, obwohl nicht er, sondern ich am 12. Januar geboren wurde, er die Geschenke erhält, denn in der Nacht erhielt ich eine E-Mail mit Glückwünschen und einem Screenshot einer Überweisung, die an seine Stiftung ging.

Aber eigentlich schätze ich diese moderne Tradition des Internetzeitalters, sich an einem Geburtstag anstelle von Geschenken Spenden für eine wohltätige Organisation zu wünschen. Als ich aufwachte, schrieb ich einen Beitrag, um meine Facebook- und Instagram-Follower dazu aufzurufen, an die Stiftung Musicians Defend Ukraine zu spenden. Das hatte eindeutig eine positive Wirkung auf meine Stimmung, die sonst nicht unbedingt feierlich war.

Diskoteka Balkanska im SO36

Von den zahlreichen Gratulationen, die ich am Freitag erhalten habe, berührten mich besonders die Grüße der Kinder, mit denen wir uns vor drei Jahren im Donbass getroffen haben. Mittlerweile sind sie fast erwachsen und leben alle an anderen Orten, da die Städte, aus denen sie stammen und wo wir noch im Herbst 2020 Musik gemacht haben, besetzt oder zerstört sind.

Schon 2023 hatte ich beschlossen, meinen Geburtstag nicht zu feiern, nahm aber die Einladung meiner DJ-Kollegin Karacho Rabaukin an und legte am Abend danach im SO36 bei ihrer Diskoteka Balkanska auf. Auch in diesem Jahr habe ich wieder zugesagt. Obwohl mir nicht ganz nach Feiern ist, finde ich es dennoch toll, Hunderte Berliner*innen in einem der besten Clubs der Stadt zur ukrainischen Musik tanzen zu lassen.

Im vergangenen Jahr sprach mich bei der Party ein aufgeregter Gast an, der sich über den Satz „Ruhm der Ukraine“ in einem der von mir aufgelegten Songs empörte. Dieses Jahr war er entweder nicht da oder hat sich einfach nicht gemeldet. Stattdessen kam ein anderer Tänzer auf mich zu. Er sprach mich auf Englisch an, sagte, dass er aus Slowenien stammt, und erkundigte sich, ob ich aus der Ukraine komme. Nach meiner Bestätigung wechselte er ins Ukrainische und sagte: „Ruhm der Ukraine!“ und „Die Krim und der Donbass gehören zur Ukraine“. Ein schöner Abend war es.

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