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Von der Istanbuler Stiftung für Kultur und Kunst gesetzt: Die britische Kuratorin Iwona Blazwick.

© Getty Images for Whitechapel Gallery/David M. Benett

Umstrittene Entscheidung: Benennung der Kuratorin für die kommende Biennale in Istanbul sorgt für Krach

Ein heftiger Streit tobt um die Benennung der Kuratorin für Istanbul Biennale 2024. Die Forderungen nach mehr Transparenz werden lauter.

In der türkischen Kunstszene ist ein heftiger Streit um die Auswahl der Kuratorin für die Biennale Istanbul im kommenden Jahr entbrannt. Die Istanbuler Stiftung für Kultur und Kunst (IKSV), die das Kunstereignis seit 35 Jahren ausrichtet, benannte die britische Kunsthistorikerin Iwona Blazwick als Kuratorin für die 18. Biennale Istanbul im September 2024. „Wir sind hocherfreut, dass Iwona Blazwick unsere Einladung angenommen hat, die 18. Biennale Istanbul zu kuratieren“, teilte IKSV-Direktor Görgün Taner mit.

Blazwick gehörte selbst dem Beirat an

Die türkische Kulturszene fiel aus allen Wolken, hatte der von der IKSV bestellte Beirat für die Biennale doch die in Berlin tätige türkische Kuratorin Defne Ayas vorgeschlagen. Die Entscheidung der IKSV ist nicht zuletzt deshalb kontrovers, weil sie schon vor einem halben Jahr fiel, aber erst jetzt verkündet wurde – und weil Blazwick selbst dem Beirat angehörte, der Ayas für den Posten empfohlen hatte.

Empfehlung des Beirats war einstimmig

Wie der türkische Kunstkritiker Kaya Genc in einer Chronik der Geschehnisse rekonstruierte, berief die IKSV im Dezember 2022 fünf Experten in den Beirat zur Auswahl der Kuratoren für 2024; außer Blazwick waren das die Kuratoren Agustin Perez Rubio, Yuko Hasegawa und Selen Ansen sowie der armenisch-türkische Künstler Sarkis. Der Beirat empfahl im Januar 2023 einstimmig Defne Ayas für den Posten und wurde kurz darauf von der IKSV informiert, dass die Stiftung dieser Empfehlung nicht folgen und eine andere Wahl treffen werde.

Aus Protest gegen diese Entscheidung traten zunächst Rubio und wenig später auch Ansen und Sarkis aus dem Beirat zurück, ohne sich jedoch öffentlich zu äußern. Die IKSV löste den Beirat auf und designierte Blazwick als Kuratorin, verkündete diese Entscheidung aber erst jetzt öffentlich.

Vom Beirat einstimmig empfohlen: Kuratorin Defne Ayas.

© imago/ITAR-TASS

Internationale Kuratorin war erwünscht

„Wie alle Mitglieder des Beirats wissen, liegt die letzte Entscheidung immer beim IKSV-Vorstand“, betonte die Stiftung in einer schriftlichen Erklärung. Nach sorgfältiger Auswertung der Beirats-Vorschläge habe sich der Vorstand für Blazwick entschieden, die „für ihre Erfahrungen und Erfolge in der internationalen Kunstwelt bekannt“ sei. Auf Anfrage von Kunstkritiker Kaya fügte IKSV-Direktor Taner hinzu, dass der Vorstand für die Biennale 2024 ausdrücklich eine „internationale Kuratorin“ wünschte – also offenbar nicht eine türkische Besetzung.

In der türkischen Kunstszene traf die Entscheidung auf Empörung. Dass Blazwick als Mitglied des Beirats nicht hinter ihrer abgelehnten Empfehlung für Ayas gestanden sei, sondern sich selbst für das Amt benennen ließ, sei „beunruhigend und unethisch“, kritisierte Kaya Genc.

Forderung nach Transparenz

Eine spontan gegründete Künstler-Initiative um den Video-Künstler Köken Ergün und die Kuratorin Merve Elveren forderte von der IKSV „Transparenz im Auswahlprozess, Offenheit für Kritik und Antworten auf Fragen nach Transparenz und Rechenschaft“, wie Genc als Mitglied der Initiative in der Zeitschrift „ArtReview“ berichtete. Defne Ayas teilte auf alle Anfragen lediglich mit, sie hoffe, dass die Kontroverse zu mehr Transparenz im Auswahlverfahren und einem besseren Dialog mit der Kunstszene führen werde.

Aufnahme der vergangenen Istanbul Biennale im Jahr 2022.

© Biennale Istanbul/Sahir Ugur Eren

Über die Gründe der IKSV-Entscheidung könne nur spekuliert werden, meinte Kaya und erinnerte an eine Zusammenarbeit von Ayas mit Sarkis auf der Biennale von Venedig von 2014, bei der auch der Völkermord an den Armeniern thematisiert wurde. Gegen die Vermutung, dass die IKSV die Kuratorin deshalb ablehnte, spricht allerdings die Tatsache, dass Sarkis selbst von der IKSV in den Beirat berufen wurde.

Die IKSV ist eine private und gemeinnützige Stiftung, die von wohlhabenden Mäzenen wie der Familie Eczacibasi und deren Pharma-Konzern getragen wird; nach Recherchen des Kulturwissenschaftlers Osman Erdem kommen nur vier Prozent ihres Haushalts aus öffentlichen Geldern. Natürlich könne man die Biennale Istanbul für einige Sponsoren und Zensurfälle kritisieren, schrieb Erdem in der Zeitschrift „PolitikYol“. Insgesamt widerstehe die Ausstellung bisher aber allen Angriffen auf die Kunst. „In der Türkei, wo selbst ein Kuss in der U-Bahn zum Politikum geworden ist, schafft die Biennale Istanbul noch immer Luft zum Atmen“, schrieb Erdem. Die IKSV müsse diesen Wert verteidigen, den sie selbst über lange Zeit geschaffen habe.

Streit weitet sich aus

Der Streit überschattet inzwischen auch den türkischen Pavillon auf der Biennale von Venedig, der ebenfalls von der IKSV organisiert wird und von der Kuratorin Esra Sarigedik Öktem geleitet werden sollte. Öktem trat jetzt von ihrem Amt zurück und dementierte gegenüber dem unabhängigen Nachrichtenportal T24 zwar ausdrücklich, dass dies aus Protest gegen die Entscheidung für Balzwick bei der Biennale Istanbul geschehen sei; vielmehr habe sie einen Interessenkonflikt vermeiden wollen, nachdem die von ihrer Kunstfirma vertretene Künstlerin Gülsün Karamustafa für eine Installation in dem Pavillon ausgewählt worden sei.

Bestürzung über Auswahlprozess

Allerdings hätten die Ereignisse um Defne Ayas sie „tief bestürzt und zudem die Notwendigkeit eines transparenteren Auswahlprozesses und das Fehlen eines gegenseitigen Austausches beleuchtet“, fügte sie in ihrer Rücktrittserklärung hinzu.

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