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Spezialisiert auf Renaissancemusik. Die Tallis Scholars aus Großbritannien.

© Nick Rutter/The Tallis Scholars

Josquin-Desprez-Konzertzyklus im Berliner Boulez Saal: Welt im Einklang

Renaissance-Marathon im Pierre Boulez Saal: Die Tallis Scholars unter Leitung von Peter Phillips singen alle 18 Messen von Josquin Deprez.

Die Stimmen winden sich umeinander, werden eins, driften davon, aber verlieren sich nicht. Keiner sticht hervor, alle weben sie gleich starke Fäden, einander ähnlich und doch nie identisch, jeder für sich und untrennbar verflochten. Schnörkellose Tonleitern und Skalen, ohne Vibrato, ohne Psychologie.

Diese Musik ist ungemein verlässlich, ein Schutzraum aus menschlichem Gesang, ein langer, ruhiger, stetiger Fluss. Man wünschte sich, die ganze Welt klänge so, so umsichtig, ebenbürtig und einmütig obendrein.

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Ein halbes Jahrtausend ist diese Musik alt. Eigentlich sollte das Vorhaben der Tallis Scholars und des Berliner Pierre Boulez Saals, alle 18 Messen von Josquin Desprez in Berlin aufzuführen, 2021 realisiert werden, zum 500. Todesjahr des flämischen Renaissance-Komponisten, der in Frankreich und Italien wirkte und ein Star des Quattrocento war. Corona-bedingt wurde das Projekt „Josquin fast 501“ daraus: acht Konzerte an vier Tagen.

Den Anfang machten am Mittwochnachmittag die frühesten Messen. „Une mousse de Biscaye“ und „L’ami Baudichon“, deren Motivmaterial Josquin aus derben Volksliedern destillierte, im Abendkonzert folgte die ebenfalls noch frühe Messe „Ad fugam“ sowie „Sine nomine“ aus dem Spätwerk, beide komplett um Kanons herum gebaut.

Verblüffend, wie eine nach derart strengen, ja mathematischen Regeln komponierte Musik so offen klingen kann, wegen der modalen Harmonien, aber auch wegen der Rätselspielereien Josquins.

Nicht einfach, in den verschlungenen Melodiegirlanden die zweistimmigen Kanons auszumachen, die im Quint- oder Quartabstand erfolgen, mal dicht aufeinander, mal erst viele Takte später, während die beiden anderen Stimmen die Kanonmelodie meist täuschend echt imitieren.

[Noch Freitag und Samstag im Pierre Boulez Saal in Berlin-Mitte, jeweils 15 und 20 Uhr. Es gibt Restkarten]

Der auf Renaissancemusik spezialisierte britische Kammerchor tritt im hölzernen Oval des Boulez Saals vor weggeklapptem Block E auf – so können sich die jeweils neun bis zwölf Sänger:innen der Tallis Scholars locker nebeneinander platzieren – lauter Primi inter Pares.

Seit bald 50 Jahren pflegen die Tallis Scholars unter Peter Phillips eine lupenreine Intonation und verfeinern von Mitglieder-Generation zu -Generation ihre polyphone Chorkunst. Wobei „verfeinert“ es nicht ganz trifft: Das jetzige Ensemble bevorzugt einen voluminösen, trotz durchweg weicher Konsonanten ehernen Kollektivklang, reiht Tonsäule an Tonsäule. Manchmal wünschte man es sich dann doch weniger festgezurrt.

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