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Max Herre und Dexter.

© Gabriela Alatorre

Werkschau der Plattenfirma Amiga: Der Groove der DDR

Auf der Kompilation „Hallo 22“ haben der Musiker Max Herre und Hip-Hop-Produzent Dexter Funk- und Soulsongs aus dem Fundus des DDR-Labels Amiga zusammengestellt.

Max Herres Vorliebe für die Musik der DDR ist nichts Neues. Vor bald 20 Jahren hob der Berliner Musiker und Rapper den City-Song „Der King vom Prenzlauer Berg“ clever in die Gegenwart, erzählte von dem Kerl, mit dem er „in Stuggi in der Schule war“ und von der „anthropologische Entwicklung dieser Region in den letzten Jahren“.

Auf dem 2019 erschienenen Studioalbum „Athen“ wiederum strickte er seinen Song „Nachts“ um ein Sample aus dem gleichnamigen Panta-Rhei-Song, spielte ihn später sogar mit Veronika Fischer live. Dass er und der Hip-Hop-Produzent Dexter nun mit „Hallo 22 – DDR Funk & Soul von 1971-1981“ (Amiga/Sony) einen Sampler zum Geburtstag der DDR-Plattenfirma Amiga kompiliert haben, ist nur eine milde Überraschung. Dass sich beide am Ende der Kompilation mit zwei musikalischen Fußnoten verewigt haben, ebensowenig: Panta Rheis „Aus und vorbei“ sowie Manfred Krugs „Das war nur ein Moment“ werden von den beiden zu Hip-Hop-Tracks umgebaut. Interessante Versuchsanordnungen; vielleicht auch: der Versuch, Brücken in die Gegenwart zu schlagen.

Die 18 Tracks, die Herre und Dexter aus dem originären Amiga-Katalog auswählten, stammen aus dem Zeitraum zwischen 1971 und 1981. Natürlich hören wir den großen Manfred Krug, der für die Plattenfirma vor seiner Ausreise in die Bundesrepublik einige Alben veröffentlichte, die sich seit Jahren in einem konstanten Kreislauf der Wiederentdeckung befinden, und das verdientermaßen. Ein Song wie das hier vertretene „Wenn’s draußen grün wird“ ist mit seinen Heinrich-Heine-Referenzen, seinem Richtung Funk schielendem Beat und seinen wilden Background-Vocals eine ebenso große Freunde wie das folgende „Kutte“, in dem Angelika Mann dramatisch gegen Alkoholismus anberlinert.

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Die Ballade „Septemberliebe“ von Holger Biege kommt mit ihren Streichermeeren auch heute noch machtvoll über einen, und Veronika Fischers „Schönhauser“ ist eine groovy in Szene gesetzte Erinnerung daran, dass die Schönhauser Allee einmal eine Straße war, in der bis Mitternacht das „schöne Gedränge“ herrschte. Und Uschi Brünings „Wenn es so ist“, schwebt zart durch den Frühling, virtuose Gitarrensoli und zarte Querflöte inklusive.

Wer sich ein bisschen mit der Musik der DDR, aber auch generell mit den Grenzgebieten von Schlager, Jazz und Groove in der deutschsprachigen Musik auseinandergesetzt hat, dürfte einige Deja-Vu-Momente erleben, die meisten der Songs sind Klassiker. Aber es gibt durchaus auch Überraschungen: Der „Stapellauf“ vom Joco Dev Sextett etwa darf durchaus als DDR-Pendant zu Hawkwinds „Silver Machine“ gelten, so schön verheddert der sich in seinen Effektschleifen und seinem hemmungslosen Herumgeorgle. Auch „Über Feuer“ von Electra ist mit seiner Fuzz-Gitarre ein Song, den man sich sehr gut in der Rare-Groove-Disco vorstellen könnte.

Was auffällt: All diese Songs leben vor allem von ihren Arrangements. Die sind fein austariert, überlassen nichts dem Zufall. Es ist wunderbar, wie hier Jazz-, Soul-, Chanson- und Beat-Traditionen vereint werden, ohne dass es jemals banal, ohne dass es jemals cheesy, ohne dass es jemals Easy Listening wird.

Das ist Musikern und Produzenten wie Reinhard Lakomy, vor allem aber Günther Fischer zu verdanken, denen Bemerkenswertes gelang: Wenn man sich ihre Songs anhört, stellt man sich die DDR wie einen einzigen Nachtclub vor, mit Glitzervorhang und großer Showtreppe und Muschellampen und Kellnern, die beflissen Schaumweinspezialitäten servieren, einem Publikum, das an kleinen Marmortischen dünne Zigaretten oder dicke Zigarren raucht. Schon klar, dass das mit der Realität so gar nichts zu tun hat, aber genau das ist es ja, um was es in der Popmusik geht: Wirklichkeiten zu negieren, sie durch Erlebniswelten zu ersetzen, die ohne die Zumutungen des Alltags auskommen.

Ähnliche musikalische Ansätze gab es auch in der Bundesrepublik Deutschland, hinzuweisen ist hier auf die „The In-Kraut – Hip Shaking Grooves Made In Germany“-Reihe. In der DDR war aber die Ausgangsposition eine andere, standen doch Beat und Artverwandtes stets unter einem Generalverdacht der Systemfeindlichkeit und musste doch jedes Wort mit Bedacht gesetzt werden. In einigen der Songs meint man das zu hören. Diese diffuse Hoffnung auf eine andere, auf eine bessere Welt, gleichzeitig aber auch das Arrangieren mit den Gegebenheiten.

Es bleibt zu hoffen, dass Herre und Dexter weiter im Archiv graben, denn vieles wäre für einen zweiten Teil zu bergen. Es fehlt etwa Barbara Kellerbauer, die mit ihrer Gruppe DDR 1979 das Album „Schönhauser Allee“ veröffentlichte, darauf zu finden: „Manchmal über den Wolken“; einer der besten deutschen Groove-Tracks überhaupt.

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