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Komplexe und schnelle Choreografien in „Approximate Sonata 2016“. Hier tanzen Polina Semionova, und Gregor Glocke.

© Yan Revazov

William-Forsythe-Abend am Staatsballett Berlin: Meister des Unvorhergesehenen

Drei Stücke aus dem Repertoire der Choreografenlegende William Forsythe, interpretiert von einem Ensemble, das vor Begeisterung glüht. Ein grandioser Abend.

Von Elisabeth Nehring

Zack, das Bein fällt – scharf wie ein Beil – von erhobenen 180 Grad Richtung Boden. Kurze Verlangsamung, bis es sanft abgesetzt wird. Gewichtsverlagerung. Die Hüfte dreht nach rechts, während sich der Oberkörper nach links verschraubt. Die Arme schleudern kontrolliert nach oben, die Knie beugen sich immer tiefer, bis ein Bein sich ausstrecken und über den Boden gleiten kann.

Im Tanzuniversum William Forsythes dauert so eine Bewegungsabfolge nur einige Zehntelsekunden, mehr ist nicht drin, bevor es wieder in eine völlig andere Richtung geht. Von spitzen, scharf akzentuierten Bewegungen in die aktive Entspanntheit des Release in fragmentarisch angedeutete Posen aus dem klassisch-romantischen Ballettrepertoire – die Komplexität der Choreografien, die sich in irrsinnigen Geschwindigkeiten samt atemberaubender Tempowechsel auf der Bühne abspielen, kann man kaum im Detail erfassen, geschweige denn mit Worten beschreiben.

Das Ensemble des Staatsballetts aber, das gleich drei Werke William Forsythes aus unterschiedlichen Schaffensperioden an dem nach dem Choreografen benannten Abend tanzt, beherrscht diese herausfordernde, organisch-technologische Tanzsprache meisterhaft. Drei Wochen hat der Choreograph höchstpersönlich mit ihnen gearbeitet – und das ist jetzt das Ergebnis: grandios!

Regeln über Bord werfen

Als „king of ballett“ und Meister des Unvorhergesehenen ist der Amerikaner William Forsythe, Jahrgang 1949, bekannt geworden, als einer, der in den über vier Jahrzehnten seines hochkreativen Schaffens das Ballett immer wieder dekonstruiert hat, die strenge Regelhaftigkeit des klassischen Tanzes auseinandergenommen, anders zusammengesetzt und damit neu erfunden hat.

In „Approximate Sonata“ ist Forsythes analytische Herangehensweise an den Tanz besonders gut zu beobachten. Beim Staatsballett wird es in einer Fassung von 2016 gezeigt, entstanden ist das Stück allerdings bereits 1996, in der glorreichen Zeit des Ballett Frankfurt, in der Forsythe mit seinen außergewöhnlichen Tänzerinnen und Tänzern alle bis dato gültigen Gesetze der traditionellen Tanzkunst sprengte.

Die verschiedenen Duette behalten die Strukturen der klassischen Pas de deux noch bei, nur, um sie durch minimale oder maximale Achsenverschiebungen, verblüffende Verschraubungen der Körper und Ausdehnungen von Bewegungsfolgen in Zeit und Raum zu transformieren.

20 Metalltische auf der Bühne

In Kombination mit der intensiven elektronischen Musik des Komponisten Thom Willems, mit dem Forsythe seit über 40 Jahren zusammenarbeitet, entsteht eine Atmosphäre zwischen kühler Sezierlust, punktgenauem Humor und ungeheurer Freude am Tanzen. Letzteres durchzieht ohnehin den ganzen Abend – die Tänzerinnen und Tänzer glühen geradezu vor Begeisterung. So auch in dem im Jahr 2000 entstandenen Stück „One Flat Thing reproduced“, in dem sie sich die Bühne mit 20 Metalltischen teilen.

Auf, unter und zwischen den Tischen tanzen sie, auf begrenztem und doch erweitertem Raum, es geht rasant und sportlich zu, ist eng, bunt und manchmal unübersichtlich ohne eine ausgeklügelte Raumkomposition aufzugeben und auch hier dominiert die Hochgeschwindigkeit der Bewegungsabläufe.

„Blake Works I“, das Forsythe nach einer langen Pause von der Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett 2016 für das Pariser Opernballett kreierte, setzt ganz auf die filigranen, verspielten Momente, lässt Elemente klassischer Sprung- und Drehkombinationen wie zarte und zugleich kraftvolle Flügelschläge ablaufen, die Tänzerinnen und Tänzer wippen, fliegen und strahlen.

Es ist eine unfassbare Freude, jedem und jeder einzelnen von ihnen zuzusehen. Ein triumphaler Abend für das Staatsballett Berlin, ein Geschenk an Berlin!

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