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Anselm Kiefer bearbeitet seine Bilder mit Flammen.

© DCM

Wim Wenders über Anselm Kiefer : Der Blick nach vorne und zurück

Wim Wenders hat einen poetischen Dokumentarfilm über seinen Freund, den Jahrhundertkünstler Anselm Kiefer gedreht. Eine 3D-Arbeit über einen raumgreifenden Giganten.

Es gibt viele Gründe, sich dem Werk von Anselm Kiefer nicht nähern zu wollen. Damals, in den zukunftszugewandten Siebziger- und Achtzigerjahren sowieso. Aber auch jetzt noch. Vielleicht ist man persönlich zu weit weg vom Trauma des Zweiten Weltkrieges. Vielleicht scheut man das Dunkle oder wird beim Anblick monumentaler Kunst von Abwehr durchzuckt. Dann könnte man mit dem Jahrhundertkünstler Kiefer, dessen Arbeiten sowohl die Museen als auch der Kunstmarkt lieben, ein Problem haben.

Gegen das Vergessen

Manchmal wandelt sich die Abwehr bereits, wenn man nur zufällig einem seiner Werke begegnet. Den bleiernen Büchern, den Bildern mit den handgeschriebenen Gedichtzeilen und Heldennamen. Kiefers Arbeiten in gedämpften Braun- und Grautönen, in Schwarz und bleiernem Grau künden vom Ende – aber immer auch vom Anfang. Asche und Phönix. Keine Ahnung, wie er das macht.

Näher an der Antwort ist Filmemacher Wim Wenders. Wie Kiefer ist auch Wenders 1945 geboren und in Trümmerlandschaften aufgewachsen. Das verbindet die beiden ebenso wie die Liebe zum Rhein und das Interesse an Geschichten, wenn es auch aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommt.

Der Große des Kinos hat einen 3D-Dokumentarfilm über den Großen der deutschen Nachkriegskunst gedreht, ihn zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Wenders tastet das künstlerische Werk dieses Gigantomanen in hochaufgelösten 3D-Bildern ab. Die Technik passt zu Kiefers Kunst, die in jeder Hinsicht raumgreifend ist. Selbst seine Leinwände sind Topografien.

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Der Furor, mit dem Kiefer in seinem Werk gegen das Vergessen ankämpft, seine Rastlosigkeit wird in dem Film spürbar. Restlos erklären, wo das alles herkommt, kann er aber nicht.

Auf Tuchfühlung mit der Kunst

Wenders zeigt Kiefers Kunst in ihrer natürlichen Umgebung. Des Malers riesiges Anwesen im südfranzösischen Barjac, 40 Hektar groß, beherbergt Kunst in 60 Gebäuden, mit zahlreichen unterirdischen Gängen, Katakomben, Tunneln, einem Amphitheater und Wiesen, auf denen der Künstler Betonkuben zu hohen, windschiefen Türmen aufgestapelt hat. Gedreht wurde auch in Kiefers anderen Atelierkomplexen, in Croissy nahe Paris und in einem alten Ziegelwerk im Odenwald, außerdem in seinem Elternhaus in Rastatt.

Niemals könnte man so viel von Kiefers Kunst in einer einzelnen Ausstellung sehen. Niemals nah genug herantreten, um zu sehen, was man in Wenders Film zu sehen bekommt. Deshalb lohnt die 3D-Technik, die man – das ist wahrscheinlich ein Kompliment – im Laufe des Films schnell vergisst.

Noch dazu kann man all das in Anwesenheit des Künstlers erleben. Der fährt in seinem Atelier mit dem Fahrrad an den hohen Leinwänden vorbei, klein wie eine Ameise. Er kurvt zwischen gefüllten Regalen herum. So viel Raum mit so viel Material. Der unendliche Schaffensdrang Kiefers muss etwas damit zu tun haben, dass er am liebsten die ganze Welt umgraben würde. Nichts darf bleiben, wie es ist.

Gestapelte Betonhäuser ragen auf dem Anwesen des Künstlers meterhoch als „Himmelspaläste“ empor.
Gestapelte Betonhäuser ragen auf dem Anwesen des Künstlers meterhoch als „Himmelspaläste“ empor.

© DCM

Kameramann Franz Lustig folgt dem stets schwarz gekleideten Künstler, oft Zigarre rauchend, in die Tunnel, die er selber ausgebaut, mit Kunst gefüllt und gestaltet hat. In manchen Einstellungen erzählt Kiefer seine Sicht auf Kunst, Mythologie und Geschichte. Knarzend gewispert, als ob ein Zaubermeister zu seinen Lehrlingen spricht.

Es wispert ohnehin viel in diesem Film, es atmet, es raunt Gedichtzeilen aus Werken, die für Kiefers Arbeit wichtige Referenzen sind, Gedichte von Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Die 3D-Technik lässt die „Todesfuge“ als Buchseite vor Kiefers Kunst auftauchen oder als Buch in seiner Hand. Kiefer malt Gedichte, Wenders filmt Malerei. So fließt alles ineinander.

Schön ist auch, dass der Film mit Lilith beginnt. Lilith, die Frau, die Adam die Stirn bot, ist eine Figur, die Kiefer zu etlichen Werken inspiriert hat. Vielleicht auch zu den weißen Gipskleidern, die die Kamera am Anfang des Films umkreist. Mit langen, von Steinen und Wasserpfützen bedeckten Schleppen stehen diese weiblichen Hüllen kopflos in der Landschaft.

Man könne eine Landschaft nicht einfach so malen, nachdem Panzer hindurchgefahren seien, sagt Kiefer einmal. Aber man kann Landschaften auf Leinwände und in Räume schütten, baggern, werfen, brennen, spritzen, ätzen, mit Blei ausgießen, in Säure baden. So in etwa stellt Kiefer seine Bilder her. Er arbeitet mit schwerem Gerät. Auch das darf man im Film eine Weile beobachten. Allzu lang hält sich Wenders aber nicht mit dieser klassischen Einstellung „Maler beim Malen“ auf.

Die Gedichte von Paul Celan

Ist es eine Dokumentation? Eine Biografie? Interviews mit dem Künstler oder mit Weggefährten gibt es nicht, allerdings ein paar Einblendungen von älteren Fernsehberichten: aus Zeiten, in denen Kiefer noch als Störenfried galt, der in den Wunden der deutschen Geschichte bohrt. Bei der Kinopremiere in Berlin am vergangenen Sonntagabend ließ Kiefer, der mit Wenders auf der Bühne stand, verlauten, dass er keinen Film über sich selbst haben wollte. Nichts über den privaten Kiefer.

Anselm Kiefer und Wim Wenders bei der Kinopremiere von „Anselm - Das Rauschen der Zeit“ in Berlin (v.l.n.r. Daniel Kiefer, Anton Wenders, Anselm Kiefer, Wim Wenders).
Anselm Kiefer und Wim Wenders bei der Kinopremiere von „Anselm - Das Rauschen der Zeit“ in Berlin (v.l.n.r. Daniel Kiefer, Anton Wenders, Anselm Kiefer, Wim Wenders).

© imago/APress/imago

Aber Wenders hat sich dann eben doch mit allem durchgesetzt, was er für nötig hielt, um Kiefers Kunst in eine epische Erzählung fließen zu lassen. Ein mittelaltes Selbst des Künstlers, gespielt von Kiefers Sohn, stellt unter anderem jenen Lebensabschnitt dar, in dem Kiefer sich in Wehrmachtsuniform und mit Hitlergruß in europäischen Landschaften fotografierte. Und ein noch jüngeres kindliches Selbst turnt auf Trümmerbergen herum und liest in Büchern, gespielt von Wenders Großneffen. Familiy Business, privater geht es eigentlich nicht.

Kiefers Sohn und Wenders’ Großneffe

Spätestens seit er das Gelände in Barjac gekauft hat, arbeitet Kiefer an seiner eigenen Musealisierung. Er hat seine Kunst hier so verwirklicht wie er wollte, ohne sich von jemandem hineinreden zu lassen, ohne auf ein Museum angewiesen zu sein. Der Mann hat hier die totale Kontrolle. Er gestaltet und formt die Landschaft mit seiner Kunst, nur der Himmel gibt sein Eigenes hinzu. Und die Jahreszeiten sorgen für bizarr schöne Umdekorationen.

Wim Wenders und Anselm Kiefer kennen sich seit 30 Jahren. Begegnet sind sie sich am Rande von Kiefers großer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie 1991, aßen zusammen im Restaurant, freundeten sich an. Der Filmemacher, der gerne Maler geworden wäre, und der Maler, der gerne Filmemacher geworden wäre. Seit Beginn ihrer Freundschaft dachten sie bereits an einen Film, sagt Wenders in Berlin. Es brauchte Jahrzehnte, bis er realisiert wurde. „Vorher hätte ich es auch nicht gekonnt“, sagt Wenders.

Vielleicht ist es ein Alterswerk, für beide. Kiefer, 78 Jahre alt, will seine Kunst der Nachwelt erschließen, in ihr unsterblich werden. Und Wenders, 77, tut für seinen Freund, was er am besten kann: mit Bildern lauschen.

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