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Erfolgreiches BE: Christopher Nell in Leander Haußmanns Hamlet, eine der jüngsten Premieren.

© Stephanie Pilick/dpa

Berliner Theater im Aufwind: Zahlen und Zweifel

Berlins Bühnen melden große Zuschauererfolge, auch wenn künstlerisch gerade ziemliche Flaute herrscht.

Freitagabend in der Volksbühne. „La Cousine Bette“ wird gespielt, Frank Castorfs ausgedehnte szenische Lektüre eines Romans von Balzac. Es geht um Sex und Geld und Stellung (im Bett und in der Gesellschaft), es ist recht und schlecht dunkel auf der Szene – und die Akustik mühsam. Das böse Spiel dauert reichlich viereinhalb Stunden, die meisten Zuschauer machen gute Miene. Die Repertoirevorstellung ist sehr gut besucht.

Man kann nicht ernsthaft behaupten, dass Berlin im Moment eine große Theaterzeit erlebt. Aber es kommen Tag für Tag verblüffende, erfreuliche Nachrichten. Das Berliner Ensemble meldet ja jede Mücke, die sich ins Foyer verflogen hat – aber eben auch 230 000 Besucher im vergangenen Jahr und eine Platzausnutzung von 88,7 Prozent: eine Steigerung um vier Prozent gegenüber 2012. Ähnlich gut sieht es – trotz Bauarbeiten und Einschränkungen – in der Deutschen Oper aus: 235 000 Besucher, 82 Prozent Auslastung, Steigerung um drei Prozent. Und es geht weiter so: Das Staatsballett zog 2013 insgesamt 110 200 Zuschauer an, erreichte eine Platzauslastung von 86,4 Prozent (knapp 4,9 Prozent mehr als im Jahr davor) und damit das beste Ergebnis seiner Existenz, trotz oder wegen des Krachs um den scheidenden Chef Vladimir Malakhov. Das Deutsche Theater liegt ebenfalls im Trend, es verzeichnet für 2013 eine Auslastung von 80,9 Prozent (4,3 Prozent mehr als davor). Die Komische Oper schaffte in der Spielzeit 2012/13 sogar eine Steigerung um zehn Prozent und hat jetzt mit Barrie Koskys „West Side Story“ schon wieder einen absoluten Renner produziert, für den Karten zu bekommen eine Kunst ist.

Es gilt auf der ganzen Linie: Die Theaterbesuche in Berlin nehmen zu. Sie nehmen jedenfalls nicht ab, wie man nach der allgemeinen Stimmung denken könnte.

Schnell wird manch einer sagen, das sei ein typisches Kritikerproblem, eine allzu spezielle Wahrnehmung – und das Publikum entscheide sich eben anders, zum Glück. Aber auch bei Theaterleuten und regelmäßigen Theaterbesuchern ist schon länger eine tiefe Verunsicherung festzustellen, was das Theater heute sein könnte und müsste. Dabei geht es nicht nur um Produktions- und Darbietungsformen, sondern auch um Inhalte. Um die künstlerische Leistung. Darüber wird viel gesprochen und geschrieben: die Diskrepanz von Qualität und Quantität, die innere Leere. Aber das schlägt nicht oder noch nicht auf die Besucherzahlen durch.

Und sicher haben die Touristen und die Mythen ihren Anteil daran, dass die Berliner Bühnen vor vollen Häusern spielen. Theaterbesucher von auswärts sind nicht unbedingt unkritischer. Nur verfolgen sie das Geschehen hier in der Regel nicht regelmäßig, haben weniger Vergleichsmöglichkeiten. Sie müssen auch nicht unbedingt wiederkommen.

Bei all den Veränderungen der letzten 25 Jahre zeigt sich: Berlin ist eine Stadt der Opern und des Theaters geblieben. So sieht es der Senat und steckt den Großteil des Etatzuwachses im Kulturhaushalt in die Opernhäuser, für Tarifsteigerungen. Etwas mehr Geld fließt auch in die Freie Szene – die sich heftig darüber beklagt, dass ihre Produktivität nicht anerkannt würde. Also auch im freien Bereich wächst das Theater, dehnt sich Bühnen-Berlin aus. Und das offensichtlich umso mehr, als die gesamte Stadt mit ihren Menschen zur internationalen Manege wird. Berlin: Das Stück läuft am allerbesten, ständig voll.

Rüdiger Schaper

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