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ZDF-Sommerinterview mit Markus Söder (CSU).

© dpa/Sebastian Arlt

Der Fall Aiwanger: Söders Kalkül offenbart seine Schwäche

Mit dem Festhalten an Aiwanger hat sich Markus Söder seinem Vize endgültig ausgeliefert. Hoffnungen auf eine Kanzlerkandidatur könnten sich damit erledigt haben.

Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Mit dem Festhalten an Hubert Aiwanger folgt der Wahlkämpfer Markus Söder einer vermeintlichen Kosten-Nutzen-Analyse in eigener Sache. Natürlich wäre Söder den Populisten Aiwanger liebend gern los geworden; er ist ja nicht erst seit zehn Tagen ein Quälgeist, ein schmerzhafter Stachel im Fleische der CSU. Eine Koalition mit den Freien Wählern, aber ohne den Volkstribun Aiwanger – das wäre wohl ganz nach Söders Geschmack gewesen.

Nun aber will Söder mit Aiwanger weiter regieren, vorerst jedenfalls. Denn Söder rechnet so: Bisher fehlt der letzte Beweis für die Flugblatt-Urheberschaft Hubert Aiwangers. Hat Aiwanger gelogen? Das ist, Stand jetzt, schwer nachweisbar. Ist eine Entlassung aufgrund von Verdachtsmomenten angemessen? Schwierig.

Und doch hätte Söder seinen Stellvertreter und Wirtschaftsminister jetzt herauswerfen können. Aiwangers Umgang mit der Flugblatt-Affäre, seine Widersprüche, zuletzt die teils schludrigen, teils peinlichen „Antworten“ auf den Fragenkatalog Söders offenbaren einen erheblichen Mangel an Ernsthaftigkeit und Selbstreflektion, von Reue ganz zu schweigen.

Söder fürchtete eine Märtyrer-Rolle Aiwangers

Mehrfach hat Söder schon allein in den Vorwürfen gegenüber Aiwanger einen „Schaden für Bayern“ ausgemacht. Gibt es einen besseren Grund dafür, einen Minister zu entlassen, eine Koalition mit einer Partei zu beenden, die Bayern schadet?

Söders Kalkül aber folgt der Einschätzung, im Festhalten an Aiwanger das kleinere Übel zu sehen. Ein Rausschmiss kostet Söder in seiner Wahrnehmung mehr als dass es ihm nutzt. Söder dürfte der Analyse folgen, dass die Anhänger und potenziellen Wähler der CSU Aiwanger die Verfehlungen aus der Jugend eher nachsehen, als dass sie den Freie-Wähler-Vorsitzenden heute dafür bestraft sehen wollen.

Söder fürchtete – und fürchtet – zudem eine Märtyrer-Rolle Aiwangers und die Aussicht, dass die Affäre Freien Wählern und AfD bei der Landtagswahl am 8. Oktober kräftig nutzt.

Söders Kalkül offenbart zugleich Söders Schwäche. Der Ministerpräsident hatte sich mit dem Fragebogen und diversen Äußerungen über Aiwanger zum obersten Moralrichter aufgeschwungen. Harsch und hart trat er gegen Aiwanger auf. Davon ist am Ende wenig geblieben. Tagelang trieb Söder seinen Vize Aiwanger an. Inzwischen ist der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef selbst der Getriebene.

Dass Söder auf jede Transparenz verzichtete, indem er die Fragen bis Sonntag verheimlichte und bei seiner Erklärung keine Fragen zuließ, zeigt seinen Mangel an Souveränität (und ein merkwürdiges Selbstverständnis am bayerischen Hofe). Am Sonntag, vor ZDF-Sommerinterview und dem Volksfest Gillamoos, musste er handeln. In eigener Sache ist Söder nicht mal der Sonntagmorgen heilig.

Gemessen an seiner Rhetorik, seiner Schärfe gegen Aiwanger in den ersten Tagen der Affäre redet Söder nun geradezu handzahm. Der moralischen Ebene, dem würdelosem Umgang Aiwangers mit dem Flugblatt und anderen Vorwürfen (Hitlergruß etc.), misst der Landeschef keinerlei Bedeutung mehr bei.

Söder verspielt sein Image als starker Mann

Söder, der sich gern als entschiedener Macher inszeniert, agiert erstaunlich entscheidungsschwach und risikoscheu. Er hat sich von Aiwanger abspeisen lassen, von dessen dürren „Antworten“, von dessen inkonsistentem Umgang mit den Vorwürfen.

Das dürfte Fragen nach Söders Eignung als Unions-Kanzlerkandidat neu aufwerfen. Söder erfüllte bisher die Sehnsucht nach Führungsstärke. Mit der Flugblatt-Affäre verspielt er das Image als starker Mann und bestätigt alle Vorurteile, er sei ein Opportunist, ein Mann ohne Überzeugungen, ohne Haltung. Aiwanger hat Söders Kanzler-Hoffnungen geschadet, sie vielleicht gar unmöglich gemacht.

Und Aiwanger selbst? Der ließ sich am Sonntag mehr denn je feiern, präsentierte sich als Opfer, tönte „tue recht, und schade niemanden“. Von Einsicht und Reue war da abermals nichts zu spüren.

Im Gegenteil: Nun versucht er aus den Vorwürfen gar politisches Kapital zu schlagen. Je mehr man über den jungen Aiwanger erfährt, je öfter man den heutigen „Menschenfreund“ Aiwanger hört, desto stärker wächst das Unbehagen über ihn und darüber, dass ein solcher – an die USA erinnernde – Politikstil in Deutschland entsteht und funktioniert.

„Damit ist die Sache aus meiner Sicht abgeschlossen“, behauptet Söder nun. Dieser Satz ist der gefährlichste, womöglich folgenreichste in der Affäre. Söder hat sich damit Hubert Aiwanger ausgeliefert. Jedes Detail, das noch über Aiwanger bekannt wird, lastet jetzt auf Söders Schultern.

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