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Grünen Bundessprecher Werner Kogler spricht beim Bundeskongress der Österreichischen Grünen über das Koalitionsabkommen mit der ÖVP.

© dpa

Verwandlung der Ideologen: Dienen Österreichs Grüne als Vorbild für Deutschland und Frankreich?

Aus konfrontativen grünen Parteien sind machtvolle (mögliche) Partner geworden. Sie sind ein neuer Kompass in dieser sich rasch verändernden Welt. Eine Kolumne.

Wenn es noch irgendeinen Beweis braucht, dass das Ende der Ideologien eingeläutet ist und eine Ära des wohltemperierten politischen Pragmatismus begonnen hat, so ist er spätestens mit dem Einzug der Grünen in die europäischen Regierungen erbracht.

Jahrzehntelang waren sie als ewige Protestler verschrien, doch nun erobern sie mit wehenden Fahnen die politische Macht. In Österreich dümpelten sie 30 Jahre lang in der Opposition vor sich hin. Als sie 2017 schließlich aus dem Nationalrat flogen, war von ihnen nur ein jämmerlicher Scherbenhaufen übrig. Doch seit letztem Herbst sind sie wieder auf der politischen Bühne und besetzen vier Ministerien in der aktuellen Bundesregierung. Wer hätte gedacht, dass Sebastian Kurz die zweifelhafte FPÖ fallen lassen und den Grünen die Hand reichen würde?

Und noch überraschender: Wer hätte gedacht, dass die Grünen sich auf diesen jungen Mann einlassen würden, dessen sehr rechte Politik gerade in Sachen Einwanderung in völligem Gegensatz zu ihren ureigensten Überzeugungen steht?

Österreich als Vorbild für Deutschland?

Wird das riskante Experiment von Kanzler Kurz (mit seinem glatten Gesicht, seinen perfekt sitzenden Anzügen und seiner steifen Höflichkeit der Klon von Barbies Ken) und seinem grünen Verbündeten Werner Kogler (mit seinen zerstrubbelten Haaren, seinen lockeren Sakkos und seiner Lässigkeit der Doppelgänger von Inspektor Columbo) der deutschen CDU als Vorbild dienen, für die ein Bündnis mit den Grünen lange unvorstellbar war?

Auch in Berlin versuchen Robert Habeck und Annalena Baerbock die Tür zur Regierung aufzudrücken. Allerdings bedarf es doch einer ausgeprägten Fantasie, um sich das Duo Friedrich Merz/Robert Habeck an der Spitze Deutschlands vorzustellen. Beim allerbesten Willen: Eine so tiefe ideologische Differenz ist wohl kaum zu überbrücken.

Lange waren die deutschen Grünen für die Franzosen ein lustiger, folkloristisch anmutender Haufen, nicht in der Lage, Verantwortung in den oberen Rängen des Staates zu übernehmen. Doch von den früheren Störenfrieden ist kaum mehr etwas übrig. Weniger Moral, mehr Flexibilität. Seriös und zuverlässig sind sie, schon lange nicht mehr das Schreckgespenst der braven Bürger. Im Gegenteil, die braven Bürger wählen grün.

Konfrontation wird in Frankreich dem Kompromiss vorgezogen

Die französischen Grünen haben noch etwas Wegstrecke vor sich, bevor sie in vergleichbare Gefilde kommen. Sie sind wesentlich weniger „realo“, verorten sich weiter links von der Mitte und sind weniger flexibel als ihre deutschen Cousins, die je nach Wahlergebnis mit Konservativen oder Sozialdemokraten Koalitionen eingehen. Die französischen Grünen tun sich schwer damit, ihre hehren Grundsätze aufzugeben.

Was uns in Frankreich immer wieder verblüfft, ist die Kunst, komplizierte Verhandlungen konstruktiv zu führen und am Ende zu einer Kompromisslösung zu gelangen. Einen 323 Seiten starken Koalitionsvertrag in einigen Hundert hitzigen Stunden auszuhandeln, wie jetzt in Österreich geschehen, ist in meinem Land eher unwahrscheinlich. Man zieht die Konfrontation der sanften Kunst der Diplomatie vor.

Doch die Kommunalwahlen in Frankreich rücken näher, und die Umfragen geben den Grünen gute Chancen. Der Zerfall der sozialistischen Partei hat für sie Platz geschaffen. Spätestens seit der Bewegung Fridays for Future stellen sie eine echte Alternative für die geplagten Wähler dar. Sie sind ein neuer Kompass in dieser sich rasch verändernden Welt.

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel

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