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Meinung: Gastkommentar: Der Revoluzzer an unserer Seite

In revolutionären Zeiten leben Männer schnell, beobachtete Lord Macaulay, der große Historiker des 19. Jahrhunderts.

In revolutionären Zeiten leben Männer schnell, beobachtete Lord Macaulay, der große Historiker des 19. Jahrhunderts. Schon bei der glorreichen Revolution von 1688, schrieb er, habe die Beschleunigung der Geschichte Staatsmänner zu Taten angestiftet, von denen sie vorher nie auch nur geträumt hätten. Jetzt leben wir wieder in einer solchen Zeit. Und zwar nicht nur in den USA, nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten Westen.

Gerhard Schröder hat die Bedeutung Deutschlands erkannt. Seine Rede ging aber weit darüber hinaus und setzte ein Zeichen für die Wiedererstarkung des gesamten Westens. Für Amerikaner sieht es so aus, als würde Deutschland zum ersten Mal an der Seite der USA kämpfen: eine ganz neue Wahrnehmung der Deutschen. Denn Amerika hat im letzten Jahrhundert zwei Mal gegen und ein Mal für Deutschland gekämpft. Jetzt zieht Deutschland mit und für die USA in den Krieg. Deutschland ist dadurch erst zum vollberechtigten Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft geworden, ja mehr noch: Deutschland ist der wichtigste Partner in Europa bei der neuen Bewusstwerdung des Westens.

Vergesst die endlosen Spekulationen über die europäische Einigung! Natürlich wird sie wirtschaftlich weitergehen. Aber außenpolitisch betritt wieder der Nationalstaat die Bühne. Gott sei Dank, denn mit Schweden ist kein Krieg zu führen. Nur Nationalstaaten wie Deutschland, nicht aber künstliche Bündnisse, sind fähig, die entscheidenden Weichen zu stellen. Es ist auch kein Zufall, dass die EU im Moment kaum eine Rolle spielt.

Für die USA, die schon während der ersten Bush-Regierung bedauerte, dass Deutschlands "Normalisierung" nicht schnell genug vorangeht, ist das eine höchst wünschenswerte Entwicklung. Dass diese Entwicklung gerade von der ehemaligen deutschen Linken vorangetrieben wird, erregt kaum Aufsehen. Schröder wird gar nichts anderes übrigbleiben, wie Tony Blair den Krieg gegen den Terrorismus als einen Krieg für Menschenrechte und Freiheit zu bezeichnen. Ja, darin könnte geradezu der europäische Beitrag liegen, denn die USA führen Krieg als simplen Machtkampf - schließlich wurden sie ja auch angegriffen.

Eines hat die USA mit Deutschland auch innenpolitisch gemein: Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg nimmt ab. In den USA sehnte man sich in den 90er Jahren mehr und mehr nach den Helden der Vergangenheit, da man keinen richtigen Krieg hatte. In Deutschland beschäftigte man sich natürlich aus anderen Gründen mit der Nazi-Zeit. Damit wird aber Schluss sein. Denn beide Staaten müssen sich jetzt auf die Zukunft konzentrieren. Fast jeden Tag wirft Schröder Ballast aus der Bonner Republik ab, mit Worten und Taten, von denen Helmut Kohl nur träumen konnte. Schröder hat doch etwas aus den 60er Jahren behalten: Er ist ein Revolutionär.

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