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Da dominierte noch Aufbruchsstimmung: Die Vorstellung des Koalitionsvertrags im Herbst 2021.

© Michael Kappeler/dpa

Krise und Konkurrenz: Das Miteinander der Ampel-Koalition war nie selbstverständlich

Als vor einem Jahr die Bundestagswahl das erste Dreierbündnis im Bund möglich machte, war viel Aufbruchstimmung. Wenig ist davon übriggeblieben.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ein Jahr ist es nun her – und gefühlt ist es eine Ewigkeit: die Ampelwahl. Genauer: die Wahl, die zur Bildung der ersten Koalition von Rot, Gelb und Grün auf Bundesebene geführt hat. Diese Konstellation hat es in sich, von Anfang an und sowieso. Denn „geborene“ Partner sind diese drei nicht; untereinander, da ja, also jeweils mit der SPD.

Aber das Miteinander ist nicht selbstverständlich, weshalb es immer wieder eingeübt werden muss, auch das von Anfang an und bis heute. Ob das auf Dauer gut geht, bis zur nächsten Wahl in drei Jahren?

Der Streit um die Gasumlage dieser Tage ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig es ist. Von Robert Habeck, dem Klimaminister und ersten Vizekanzler, erfunden, um Mehrkosten wegen ausgefallener russischer Lieferungen für Importeure abzufedern, vom Finanzminister und zweiten Vizekanzler Christian Lindner jetzt demonstrativ infrage gestellt – und der Kanzler, Olaf Scholz, hält sich bis auf Weiteres bedeckt.

Jetzt soll Lindner Habecks Plan prüfen

Das ist übrigens ein Teil der Kanzler-Methode Scholz: Abwarten, zusehen, und bei Schwäche der anderen läuft es dann geradewegs auf ihn zu. Die Nerven hat er. So bittet Habeck ja unterdessen erst einmal Lindner um Prüfung, ob die Gasumlage finanzverfassungsrechtlich geht.

Weil er selbst Bedenken bekommen hat; die weithin geteilt werden, vom SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil bis zum CSU-Chef Markus Söder. Hier eine Entscheidung herbeizuführen wird wie von selbst Kanzlersache. Und lässt den besser aussehen als die anderen.

Aber da sind wir schon bei den Auswirkungen der Regierungsbildung. Danach war erst einmal demonstratives Einvernehmen. Ein ganz anderer Stil sollte her, ein sich allseits ergänzender. Was Scholz nicht hat – dieses eloquent-empathische Auftreten –, wollten auf je unterschiedliche Weise die Spitzengrünen und der Spitzenliberale einbringen. Um dann die Zukunft mit Reformen zu erringen.

Auch Lindner erschien in dieser Weise beseelt; das mögliche Amt des obersten Geldverwalters der Regierung mit Vetorecht beschwingte ihn so sehr, dass er immer wieder auch die sozialen Aspekte finanzpolitischen Handelns hervorhob, geradezu sozialliberal klang er.

Und Annalena Baerbock mit ihrem Co Habeck: Sie wirkten am Ende froh, dass die gefühlte Wahlniederlage – der Absturz vom führenden Platz in Umfragen mit der Aussicht, womöglich die Kanzlerin zu stellen – vergleichsweise glimpflich ausfiel.

Die Grünen unter Annalena Baerbock und Robert Habeck waren in Umfragen vor der Wahl dem Kanzleramt nah.

© Ina Fassbender/AFP

Nun, im Amt, hat die ganze Wucht der Verantwortung sie alle getroffen. Der Krieg, die Energiekrise, Corona – es wird rund um die Uhr gearbeitet, um die Lage im Griff zu behalten, deren Zuverlässigkeit darin besteht, dass sie sich permanent ändert. Tinnitus und Burnout bedrohen nicht nur Habecks Mitarbeitende.

Die Nerven liegen blank, die Vertraulichkeit der Anbahnungsphase weicht Attacken auf offener Bühne. Das hat sich so bestimmt niemand vorgestellt.

Das Mitleiden aller in der Gesellschaft wegen der Situation bekommt die Regierung gerade zu spüren. Die Unzufriedenheit mit ihnen allen überwiegt die Zufriedenheit bei Weitem, und wenn heute Wahl wäre, hätte diese Koalition es Umfragen zufolge schwer.

Was deren Hoffnung ist: dass sich ihr segensreiches Tun, wie sie es sehen – viel richtig gemacht, pragmatisch und schnell – noch vor aller Augen entfaltet und eine Abwahl darum ungerecht wäre. Doch in diesen Zeiten ist nichts sicher, auch das nicht.

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