zum Hauptinhalt
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne)

© Foto: dpa/Tom Weller

Sieg des Aufmerksamkeitsjunkies: Palmers Erfolg sollte der Grünen-Spitze eine Warnung sein

Tübingens unbequemer OB liegt mit seiner Partei wegen diverser Äußerungen im Clinch. Doch nach Palmers Wahlsieg sollten die Grünen endlich lernen, richtig mit ihm umzugehen.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Tübinger zeigen es den Grünen: dass sie ihre Vielfalt nicht aufgeben dürfen und Meinungsstreit aushalten müssen, Unbequeme und Querköpfe dazu, halt alles das, was sie groß gemacht hat. Und das gilt, auch wenn sie nun im Bund oder im Ländle regieren.

Boris Palmer, Enfant terrible der Partei, selbst wenn er ihr bis Ende 2023 nicht angehören darf, hat in Tübingen die Wiederwahl als Oberbürgermeister geschafft – deutlich geschafft. Im ersten Wahlgang. Den Parteivorderen sollte das eine Warnung sein.

Seit 2006 ist Palmer jetzt Oberbürgermeister, und es war nicht zum Leidwesen der 90.000 Einwohner Tübingens. Im Gegenteil, seine Bilanz ist brillant. Das bescheinigen ihm ja sogar die Gegner.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Und wer durch die Stadt geht, sieht es, hört es. Die Wirtschaft ist zufrieden, die Menschen überhaupt sind es. Deswegen die Wiederwahl bei einer für Kommunen imposanten Wahlbeteiligung.

Ein Auszug aus der Bilanz: 40 Prozent neue Arbeitsplätze, qualifizierte, saubere High-Tech-Jobs hat Palmer geschaffen. Das 40-Prozent-Ziel bei der CO-2-Reduzierung ist vorzeitig erreicht, durch sein Klimaschutzprogramm kann Tübingen im Krisenwinter drei Viertel der benötigten Energie selbst erzeugen und dabei auch noch viel Geld verdienen. Die Stadt ist schuldenfrei und wächst, ist fahrradfreundlich. Das Corona-Management mit dem „Tübinger Modell“ wurde bundesweit kopiert.

Ja, Palmer neigt zum Überziehen, sogar mitunter ausfällig zu werden. Ein Aufmerksamkeitsjunkie ist er. Aber es liegt auch an den Grünen, das zu ändern. Ihn mehr fordern, ihn besser auslasten in Zukunft, ihn Projekte und Pläne machen lassen.

Was macht er nachmittags? Das ist ein Teil seines Problems. Seine Kapazitäten sind enorm, er ist eher unterfordert. Dennoch muss Palmer – und das weiß er, sagt er selbst – immer um Impulskontrolle kämpfen. Er muss mit 50 endlich „g’scheit“ werden, wie die Schwaben sagen. Allerdings sagen sie das über die Vierzigjährigen.

Vielleicht, vielleicht… Umstrittene Beiträge auf Facebook oder in Talkshows, Sheriffattitüden in der Stadt, als Rassismus misszuverstehende Äußerungen – in seinem 90-sekündigen Abschluss-Statement an die Tübinger äußerte Palmer neben Sachangeboten für die kommenden acht Jahre eine Bitte: „Wenn ich Sie in den letzten 16 Jahren verärgert habe – verzeihen Sie mir.“ Die Tübinger verzeihen ihm.

Auch die Partei? Die sollte es. Besser wär’s. Wer Frieden mit immer mehr schweren Waffen schaffen will, wer die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke länger laufen lässt, sollte ganz vorsichtig sein, vorgeben zu wollen, was typisch Grün ist. Palmer ist da jetzt eine laute Warnung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false