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Das BASF-Werk in Schwarzheide

© Foto: AFP/Lisi Niesner

Kohlestrom, AKW-Laufzeiten, Fracking: Deutschland braucht keine Energiepreisbremsen, wir brauchen mehr Energie!

Lieber Milliardentransfers als pragmatische Beschaffung – das ist derzeit die Strategie in der Energiekrise. Bleibt das so, leidet der Wirtschaftsstandort Deutschland. Es geht anders. Ein Gastbeitrag.

Die Bundesregierung will mit einem Abwehrschirm von 200 Milliarden Euro die Gas- und Stromkrise überwinden. Staatliche Transfers sollen Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern.

Damit folgt Berlin dem europäischen Trend, die Energiekrise mit viel Geld wahlweise für Preisdeckel oder -bremsen lösen zu wollen.

Frankreich etwa stoppt bereits seit Oktober 2021 den Gaspreis und begrenzt den Anstieg des Strompreises. Dementsprechend fällt die Nachfrage nach Gas und Strom höher aus, als es bei Marktpreisen der Fall wäre. Die Differenz zahlt der Staat mit neuen Schulden.

Passend dazu sind die europäischen Fiskalregeln ausgesetzt; nach dem Wunsch von Paris und Rom sollen sie weiter gelockert werden, bevor die Regeln 2024 wieder greifen könnten.

In Spanien wurde zur Stromproduktion eingesetztes Gas subventioniert, um den Strompreis zu senken. Die Folge: erhöhter Gasverbrauch und zusätzliche Stromexporte nach Frankreich und Portugal. Die Kosten werden auf günstigere Quellen wie die erneuerbaren Energien überwälzt.

Deutschland versucht einen Mittelweg. Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen erhalten pauschale Zahlungen. Der Anreiz, Gas zu sparen, soll so erhalten bleiben.

Bei größeren Industrieunternehmen soll der Gaspreis für 70 Prozent des Verbrauchs bei sieben Cent je Kilowattstunde gedeckelt werden. Das würde den Sparanreiz kappen, falls kein Weiterverkauf eingesparter Gasmengen erlaubt wird.

Europas Regierungen haben Angst vor neuen Gelbwesten-Protesten

Preisdeckel und Abwehrschirme gehen weit über bedürftige Privathaushalte und gefährdete Unternehmen hinaus. Sie sollen praktisch allen Hilfe bieten. Das ist politisch nachvollziehbar – in Europas Regierungen grassiert die Angst vor neuen Gelbwesten-Protesten. Doch die Energiekrise wird so nicht gelöst.

Stattdessen findet nur eine die Inflation nährende Kostenumverteilung statt. Viele Empfänger der Zahlungen brauchen sie gar nicht unbedingt. Die zusätzlichen Staatsschulden müssen aber künftig durch höhere Steuern, niedrigere Staatsausgaben und die inflationsbedingte Entwertung der Verbindlichkeiten finanziert werden.

Gedeckelte Gas- und Strompreise können zwar den Beitrag der Energiepreise zur Verbraucherpreisinflation reduzieren. Aber selbst in Frankreich hat die Inflation insgesamt zuletzt deutlich angezogen, in Spanien wurde sie bereits im Juni – und damit deutlich früher als in Deutschland – zweistellig.

Inflation führt zu höheren Steuerbelastungen bei Haushalten und Unternehmen. Das liegt am progressiven Steuertarif. Eine weitere Erhöhung von Steuern, wie sie jüngst der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, verringert Leistungsanreize, schwächt die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und dämpft angebotsseitig das Wirtschaftswachstum.

Was wir wirklich brauchen, ist mehr Energie. Deutschlands Sonderweg zur Klimaneutralität im Jahr 2045 war auf russisches Gas gebaut. Notwendig ist jetzt, eine neue Brücke zu bauen, die es der Bundesrepublik ermöglicht, sich bis 2045 von Treibhausgasemissionen zu befreien – und gleichzeitig eine führende Industrienation mit wachsendem Wohlstand zu bleiben.

Statt den Brückenbau in Angriff zu nehmen, begnügt die Politik sich leider damit, Gasspeicher zu füllen und die Laufzeit von drei Kernkraftwerken um dreieinhalb Monate zu verlängern.

Es gibt pragmatische Ansätze

Notwendig wäre eine schnelle, massive und zunehmend klimafreundliche Ausweitung des Energieangebots. Das würde die Energiepreise wieder senken. Ein pragmatischer Ansatz müsste erstens eine mehrjährige Ausweitung der Kohleverstromung beinhalten, auch wenn das nicht gut fürs Klima ist.

Zweitens sollten im Interesse des Klimas die sechs verfügbaren Kernkraftwerke in Deutschland mindestens zehn Jahre weiter genutzt werden. Viele Länder setzen deshalb auf Kernkraft. Das gilt drittens auch für die Nutzung von Erdgas, solange das Speicherproblem bei Sonnen- und Windkraft ungelöst ist.

Viertens erfordert der zügige Ausbau erneuerbarer Energien und ihrer Infrastruktur Abstriche bei anderen Umweltzielen, ob es nun das Wattenmeer betrifft oder den Wald. Fünftens könnten unsere Schiefergasvorkommen die ursprünglich bis 2045 geplanten russischen Gaslieferungen zu einem guten Teil ersetzen.

Fracking in Deutschland wäre jedenfalls klimafreundlicher, als teures verflüssigtes Fracking-Gas zu importieren – und würde darüber hinaus helfen, den Gaspreis zu senken.

Bleibt es jedoch bei der politischen Maxime „Transfers statt Energie“, wird energieintensive Industrieproduktion aus Deutschland in andere Regionen abwandern, etwa nach Nordamerika. Dort ist Pipeline-Gas weiterhin zu einem Bruchteil des hiesigen Preises verfügbar.

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland leidet. Klima und Umwelt hilft die Abwanderung jedoch nicht, insbesondere wenn die Umweltstandards andernorts lockerer sind. Bereits heute liegt die deutsche Industrieproduktion sieben Prozent unter dem Niveau von Anfang 2018. In den USA stieg sie im selben Zeitraum um fünf Prozent. Das sollte uns eine Warnung sein.

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