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Robert Conrad

© privat

Nachruf auf Robert Conrad: Operativer Vorgang „Archivar“

Ein Bewahrer des Vergänglichen – was gibt es Verdächtigeres in Zeiten von Neubau und Zukunftsgewissheit?

Von David Ensikat

Im März 1985 begab sich ein verdächtig aussehender junger Mann ins militärische Sperrgebiet südlich von Baku, Aserbaidschan, Sowjetunion, nahe der iranischen Grenze. Sein dunkles schulterlanges Haar hatte er zum Zopf gebunden, er trug eine Lederhose und eine Umhängetasche mit Hirschmotiv. Zudem führte er eine Spiegelreflexkamera mit sich. Soldaten nahmen ihn fest und übergaben ihn dem sowjetischen Geheimdienst.

Es war nicht das erste Mal, dass Robert Conrad festgenommen und verhört wurde, und das letzte schon gar nicht. Er war ja kein Krimineller, der aus Fehlern hätte lernen können. Er war ein Mann mit einem großen Interesse an Gebieten und Gebäuden, die von Zäunen und Mauern umgeben waren. Was verfiel, dem Blick der Allgemeinheit entzogen, wollte er besichtigen und, weit wichtiger, fotografisch bannen, so dicht und unverstellt wie möglich. Ein Archivar der Vergänglichkeit – was gibt es Verdächtigeres in Zeiten von Neubau und Zukunftsgewissheit?

Doch damals, südlich von Baku, überzeugte er die Geheimdienstler, dass er sich nicht für ihre Geheimnisse interessierte, sondern für Ruinen. Sie mochten ihn für naiv halten, für gefährlich hielten sie ihn nicht mehr. Sie geleiteten ihn zurück zur Reisegruppe, mit welcher er in die DDR heimkehrte, in das Land, dessen Zukunftsgewissheit und Neubaufreude ihn zum Archivar gemacht hatte.

Wenn die Abrisskommandos kamen

In Greifswald war er aufgewachsen, sein Vater hatte erhebliche Zweifel an der Tüchtigkeit des Sohnes, der der Hippiekultur deutlich mehr abgewinnen konnte als heimischen Vorstellungen von Wohl und Werden. Er zog früh zuhause aus, besetzte Wohnungen und Häuser, die dem Verfall preisgegeben waren, musste sich immer neue suchen, wenn die Abrisskommandos kamen, um Platz zu schaffen für die Plattenbauten, und machte es sich zur Aufgabe, das, was gerade noch dastand, festzuhalten mit der Kamera.

Dass nicht nur der Vater Argwohn hegte, sondern mehr noch die Platten aufstellende Staatsmacht, liegt auf der Hand. Die Stasi beobachtete den Beobachter und verlieh dem „Operativen Vorgang“, der Überwachung des Verdächtigen, den Namen „Archivar“.

Verdächtig hatte er sich nicht allein mit seinem Interesse fürs Gestrige gemacht, sondern ebenso mit eher modernistischen Bemühungen um die Filmkunst. Mit einem Freund stellte er Super-8-Filme her, die so experimentell waren, dass sie die überforderten Zuschauer in einem Jazzclub hellauf begeisterten: So etwas Untergründiges, garantiert nicht Sozialistisch-Realistisches musste große Kunst sein! Ein anwesender Psychiater hingegen diagnostizierte laut Stasi-Akte bei den jungen Künstlern Schizophrenie.

Entsprechend forsch ging die Staatssicherheit gegen die Umtriebe vor: Hausdurchsuchungen, Verhöre, Zersetzungspläne, Absage aller Studienbewerbungen, das ganze Programm. An einer Stasi-Hochschule entstand eine Diplomarbeit, die sich der Bekämpfung des Greifswalder Untergrunds widmete.

Auch im Westen zerfällt genug

In Berlin war der Untergrund viel größer; da würde Robert Conrad nicht so auffallen. Deshalb zog er 1986 in die Hauptstadt, fotografierte weiterhin das zerbröselnde Land und führte ein auskömmliches Leben, indem er alte Lederjacken an- und verkaufte.

Die Mauer fiel gerade rechtzeitig, dass er nicht mehr in den Westen übersiedeln musste. Das hatte er vor gehabt und extra eine Amerikanerin geheiratet. Aber jetzt kamen der Westen und die Freiheit von ganz allein zu ihm.

Was nicht hieß, dass er von seiner Betätigung abließ, denn auch im freien Westen zerfällt genug. Wenn es nun die Plattenbauten seiner alten Heimat waren, fotografierte er eben Plattenbauten. Und wenn ein Zaun den Zugang zu einer alten Kaserne versperrte, stieg er drüber, und wenn der Wachschutz ihn aufgriff, erklärte er sein Interesse.

So geschehen in Kaliningrad, ehemals Königsberg. Da kletterte er wieder mal in ein Sperrgebiet, weil er alte Aufnahmen des Hafens bei sich hatte, deren ehemals deutsches, nun russisches Motiv er wiederfinden und neu fotografieren wollte. Wieder nahm ihn die Militärpolizei fest, wieder redete er sich heraus, diesmal so gut, dass sie ihn zum Wodka einluden.

Ein großes Glück widerfuhr ihm als er Maggie begegnete. Mitte der 90er war das, beide jobbten in einem Architekturbüro. Ebenso wie er interessierte sie sich mehr fürs Ehemalige als fürs Werdende. Sie lebten gemeinsam und arbeiteten gemeinsam, zuletzt an der Bestandsaufnahme des Flughafens Tegel, welcher durch seine Außerbetriebnahme zu wahrer Größe gefunden hatte – so jedenfalls empfand das Robert Conrad.

Wenn sie Reisen unternahmen, dann dorthin, wo es etwas Verfallendes zu entdecken gab. Uneinig waren sie sich nur, wenn Maggie mal im Hotel übernachten wollte und er auf seinem Prinzip beharrte, für eine Bleibe kein Geld auszugeben. Lohnte es sich nicht weit mehr, unter einer interessanten Spannbetonkonstruktion aufzuwachen als unter einem Baldachin?

Man kann eine Parallele ziehen zwischen Robert Conrads Treue zu alten Gebäuden und seiner Treue zu Freunden. Er mochte zuweilen etwas halsstarrig erscheinen – seinem Talent, Menschen zu sammeln, tat das keinen Abbruch. Es gab schließlich immer interessante Dinge auf der Welt, über die es sich zu debattieren lohnte. Denn je moderner diese Welt sich gibt, desto mehr lässt sie verfallen.

Zu seinen Geburtstagsfeiern lud er viele ein, und viele kamen. Manche wegen seiner ausufernden Dia-Schauen, manche trotz derer. Wenn gegen Mitternacht jemand eine Pause forderte, konnte es durchaus noch etwas dauern, denn es gab noch so viele Bilder von Subkultur und Verfall, zu denen er so viel zu sagen hatte. Wenn dann gegen zwei eine Unruhe aufkam, wenn Leute nicht mehr bei der Sache waren und sich unterhielten, dann konnte er unwirsch werden, „Jetzt ist aber mal Ruhe hier!“ Es ging ihm schließlich um die Sache.

Weil die Sache endlos war, war ganz grundsätzlich ein Ende gar nicht vorstellbar. Hundert wollte Robert Conrad werden, mindestens. Mit 60 ist er gestorben, plötzlich, unerwartet.

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