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„Morning Studio“ von Nicole Eisenman.

© The Hort Family Collection © Courtesy of the artist and Anton Kern Gallery, New York

Nicole Eisenman im Museum Brandhorst: Queere Großstadtgirls schlagen zurück

Die New Yorker Malerin Nicole Eisenman feiert im Münchner Museum Brandhorst weibliche Lust und die Welt am Abgrund. Berührungsängste kennt sie keine.

Das „Brandhorst goes Porn“, kündigt Kuratorin Monika Bayer-Wermuth frech einen Film zur Ausstellung an. Klar, der Videostreifen „Community Action Center“ der queeren Künstlerinnen A.K. Burns und A.L. Steiner von 2010 ist legendär, ein „sozio-sexueller Porno, der in die Film- und Kunstgeschichte eingegangen ist“.

Feministisch-lesbisches Programmkino: Das passt bestens zur Kunst von Nicole Eisenman. Die New Yorkerin und die Filmemacherinnen sind Weggefährtinnen. Mit Chicks-on-Speed-Mitglied A.L. Steiner gründete Eisenman ein Kollektiv zur Förderung feministischer Kunst.

Frauen First heißt es schon lange bei ihr. Nicole Eisenman hat sie in rosaroten Fleischtönen gemalt, ekstatisch ineinander verschlungen, knutschend oder aufs Handy starrend. Es gibt sie als lässig lümmelndes Liebespaar oder inmitten feiernder junger Leute im Biergarten.

Immer sind es Großstadtgirls, meist queer und aus ihrer Generation. Klimawandel, Rechtsruck, Finanzkrise, Burn-out, Lockdown, alle Krisen sind immer irgendwo im Bild mit dabei. Das macht die Künstlerin zur starken Stimme der Gegenwart und zu einem Star des Kunstmarkts.

Ihre Ausstellung „What Happened“ – gemeinsam organisiert vom Museum Brandhorst und der Londoner Whitechapel Gallery – zeigt das anhand von rund 100 Werken aus drei Jahrzehnten.

„Selfie“ von Nicole Eisenman.

© Nicole Eisenman. Courtesy the artist and Hauser & Wirth. Photo: Thomas Widerberg

Die 57-Jährige nutzt ihr eigenes Leben und das ihrer Freunde als Inspiration für eine humorvolle, stets figurative Malerei. Gekonnt mischt sie darin Privates und Politisches, Banales mit Bedeutungsschwerem, Comicstil mit virtuoser Maltechnik.

Vor rund zehn Jahren begann sie zudem, Skulpturen zu erschaffen, die grotesk und hintergründig auch einen Karnevalswagen schmücken könnten. Sie thronen in Collagen aus Bronze, Styropor und Silberglanz im Hauptraum des Museums. Eine bewegt sich und stößt Rauch aus, in einer anderen ist eine Kuckucksuhr versteckt.

Die größte, die „Procession“, brachte 2019 den damaligen Trustee des Whitney Museums, Warren Kanders, zu Fall. Der Unternehmer produzierte Tränengas für den Einsatz der US-amerikanischen Behörden an der Grenze zu Mexiko. Nicole Eisenman forderte zusammen mit anderen Künstler:innen seinen Rücktritt und drohte, ihre Arbeit aus dem Museum abzuzieheen. Der Protest war erfolgreich, Kanders trat zurück.

Noch drastischer geht es in Eisenmans Frühwerk zur Sache. Auf dem Aquarell „Captured Pirates on the Island of Lesbos“ (1992) schneiden lüsterne Ladys den Kerlen die Gemächte ab. Doch die Orgien und Amazonenkämpfe wirken nicht sensationsheischend, Eisenmans Körper erzeugen eine Spannung von eigener, fast klassischer Schönheit. Die kunstgeschichtlichen Vorbilder sind nicht weit.

Neben so viel Körperkunst kann sie auch beißenden Zynismus und beinharte Kritik – an Männerrunden: In der „Tea Party“ (2011) hängen die Kerle (und eine Frau) verschwörerisch in einem Hinterzimmer ab und basteln an einem Sprengsatz. Die Finanzkrise unter Barack Obama verarbeitet sie 2009 in dem apokalyptischen Bild „The Triumph of Poverty“. Es zeigt eine heruntergekommene Truppe, die von einer nackten Fahrerin im Auto ohne Tür in der US-amerikanischen Peripherie versauert.

Alles geht den Bach runter? Könnte man leicht meinen angesichts des ersten Gemäldes der Schau. „Heading Down River on the USS J-Bone of an Ass“ zeigt ein Boot, das zugleich der Kieferknochen eines Esels ist. Der Knochenkahn fährt mit zerrissenem Segel einen giftig-grünen Fluss hinunter, ein Wasserfall naht, nach hinten öffnet sich eine weite, düstere Landschaft. Das Bild entstand kurz nach Trumps Amtseinführung 2017. Doch Nicole Eisenman glaubt: „Um Kunst zu schaffen, muss man Optimist sein.“ Daher spielt der Steuermann im Boot seelenruhig Panflöte.

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