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US-Präsident Trump will "die Antifa" wegen Krawallaufrufen als Terrororganisation einstufen. Auch hierzulande verbinden viele vor allem Gewaltexzesse mit dem Kürzel.

© AFP

Krawall in den USA (und Neukölln): Antifa ist ein Zwitter, Mr. Twitter

Gut und böse, hilfreich und zerstörerisch zugleich: "Die Antifa" gibt es nicht, sie hat viele Gesichter - und man kann schlecht gegen alle sein. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Entpuppt sich ausgerechnet Donald Trump als heimlicher Segen für seinen Lieblingsfeind? Im Zuge der Proteste in den USA, twitterte der präsidiale Wüterich, er wolle die Antifa als terroristische Organisation einstufen. Die Androhung löste eine regelrechte Solidaritätswelle in den Sozialen Medien aus, an der sich auch die SPD beteiligte und ihre Unterstützung der Antifa als "selbstverständlich" bezeichnete. 

Das offene Bekenntnis löste etwas weiter rechts Schnappatmung aus: Die Union zeigte sich "entsetzt" über den solidarischen Schulterschluss mit einer linksextremen Gruppierung. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte ein gewaltfreies Eintreten gegen Faschismus und für die Demokratie und Menschenrechte sei für ihn "selbstverständlich", für "die Antifa" nicht.

Nur: "die Antifa" gibt es nicht, weshalb auch Trumps Unterfangen sich durchaus schwierig gestalten dürfte. Vielmehr ist die Reaktion ein erneuter Beweis für die undifferenzierte Pauschalkritik am linken Faschismus-Widerstand. 

Was allgemein als "die Antifa" bezeichnet wird, ist keine einheitliche Organisation, sondern eine lose Vernetzung verschiedener Gruppierungen. Wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags festhielt, kann beim "Oberbegriff" Antifa kein einheitliches Handeln oder ein in sich geschlossenes politisch-ideologisches Konzept festgestellt werden. In der Bewegung tummeln sich friedvolle Antifaschisten neben gewaltbereiten Linksextremen. Trotzdem gilt die Antifa als Bürgerschreck, Chaotenhaufen und Krawallmacher. Diese Vorurteile sind nachvollziehbar, greifen aber zu kurz. 

Wenn Schwarzvermummte durch die Straßen ziehen und wie vergangene Freitagnacht in Neukölln in Berserkermanier sinnlose Sachbeschädigung betreiben, weil sie "das System hassen", verliert ihr Handeln jegliche Legitimität und konterkariert sogar ihre Bestrebungen. In der aktuellen Ausgabe der "Zeit" warnt etwa der amerikanische Politologe Omar Wasow, dass schwarze Aktivisten in den USA befürchten müssen, dass ihnen die dortigen Taten der weißen Protetst-Vandalierer zugeschrieben werden, weil es dem Klischee des gewaltbereiten schwarzen jungen Mannes entspricht. Die blanke Zerstörungswut mancher Linksextremisten ist zu einem Selbstzweck geworden, der das eigentliche Ziel des antifaschistischen Widerstandes oftmals gefährdet.

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Natürlich tragen Antifa-Gruppierungen zum steigenden gewaltorientierten Linksextremismus bei, doch sie sind ebenfalls ein unabdingbarer Partner im Kampf gegen eine Ideologie, die nicht Autos und Fensterscheiben, sondern Menschenleben zerstört. Wer setzt sich denn mit dem gleichen unnachgiebigen Engagement gegen Neonazi-Aufmärsche ein, stellt sich dort an erste Front, wo Politik und Polizei sich noch in braver Zurückhaltung üben? Dass die Konfrontation mit Rechtsextremen auch Gewalt beinhaltet, ist für den amerikanischen Antifa-Historiker Mark Bray nur normal, beziehungsweise präventive Selbstverteidigung, da man es mit einem gewalttätigen Gegner zu tun hat. Ein Recht auf Meinungs- oder Versammlungsfreiheit haben Rechtsextreme laut Bray nicht, da sie durch ihre Gewalt und Hetzte die Freiheit anderer beschneiden. 

Auch liefern Antifa-Recherchekollektive den Behörden regelmäßig wertvolle Hintergrundinformationen zu gewaltbereiten rassistischen Netzwerken und Einzelpersonen. Die Ermittlungen zum NSU und zu Mordanschläge auf PolitikerInnen wie Henriette Reker oder Walter Lübcke etwa profitierten maßgeblich von der Recherche des Antifa-Lagers. Auch das ist Antifa. Sich mit ihr zu solidarisieren ist beileibe nicht “selbstverständlich”. Sie als Gefahr für die Demokratie zu brandmarken sollte es auch nicht sein. 

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