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Terrorbekämpfung: Auf dem Prüfstand

Sicherheit oder Freiheit? Anti-Terror-Maßnahmen haben in Frankreich Vorrang vor Bürgerrechten.

In einigen Monaten steht Frankreich eine neue Debatte über den Kampf gegen den Terrorismus bevor. Dann muss das Parlament eine Bilanz des Gesetzes ziehen, mit dem es im Dezember 2005 das Arsenal zur Abwehr terroristischer Gefahren verschärft hatte und über dessen Anwendung nach drei Jahren erneut befunden werden sollte. Auf Betreiben des seinerzeitigen konservativen Innenministers, des heutigen Präsidenten Nicolas Sarkozy, war die schon bestehende Anti-Terror-Gesetzgebung damals vor allem um eine Reihe neuer präventiver Maßnahmen erweitert worden. „Die effektivste Form des Kampfes im Krieg gegen den globalen Dschihadismus ist es, die Täter zu fassen, bevor sie etwas Irreparables tun“, hatte Sarkozy die Aufrüstung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit seinerzeit begründet.

Als Vorbild galt ihm Großbritannien. Vor allem bei der Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen und Einrichtungen empfand er Nachholbedarf. Zwar gab es schon allein in Paris 23 000 Videokameras an Untergrund- und Eisenbahnhöfen, Flughäfen, Postämtern, Schulen, Kirchen und anderen sensiblen Einrichtungen. Doch nun wurde die Videoüberwachung auch landesweit auf potenzielle Terrorziele ausgedehnt. Die Vollmachten der Polizei zur Personenüberwachung wurden erweitert. Ohne den bis dahin erforderlichen richterlichen Auftrag erhielt sie zum Beispiel Zugang zu den Passagierdaten von Flug-, Eisenbahn- und Schifffahrtgesellschaften, das Recht, Nummernschilder und Insassen von Autos zu fotografieren und Einblick in die Kundendateien von Telefongesellschaften und Internetcafés zu nehmen. Verdächtige können seitdem sechs statt vier Tage in Polizeigewahrsam genommen werden. Die Strafen für die Zugehörigkeit zu einer „kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit einem terroristischen Unterfangen“ wurden auf bis zu 30 Jahre angehoben.

Im Verlauf der Beratung im Parlament war das Gesetz dann von der rechten Mehrheit noch weiter verschärft worden, was zahlreiche Bürgerrechtler auf den Plan rief. So warnte die Liga für Menschenrechte vor einem „Überwachungsstaat“. Die Nationale Datenschutzkommission sah das Risiko „gravierender Beeinträchtigungen individueller Freiheitsrechte“ voraus. Eine Verfassungsbeschwerde der linken Opposition blieb jedoch ohne Erfolg.

Bittere Erfahrungen mit dem Terrorismus hatte Frankreich schon vor dem 11. September 2001 gemacht. In Erinnerung sind neben den Anschlägen korsischer Nationalisten noch die Attentate nahöstlicher Extremisten, die in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Paris erschütterten. Auch die sogenannten Bewaffneten Islamischen Gruppen GIA, die in den neunziger Jahren den algerischen Bürgerkrieg nach Frankreich tragen wollten, sind nicht vergessen. Von neuen Anschlägen ist das Land seither verschont geblieben. Ob dies durch die präventiven Vorkehrungen bewirkt wurde, ob sich das Gesetz von 2005 also bewährt hat, oder ob sich im Gegenteil die Befürchtungen der Kritiker erfüllt haben, muss nun demnächst das Parlament beurteilen.

Wie es indes generell um die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zur Abwehr terroristischer Anschläge bei gleichzeitiger Beachtung grundlegender rechtsstaatlicher Garantien bestellt ist, erhellt eine neue Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Frankreich lasse sich im Kampf gegen den Terrorismus zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zuschulden kommen, hieß es in einem Anfang Juli in Paris veröffentlichten Bericht, der sich auf Interviews mit Richtern, Polizeibeamten, Anwälten und Beschuldigten stützt. So würden verdächtige Personen im Polizeiverhör oft physischer und psychischer Gewalt – etwa durch Schlafberaubung – unterworfen und auch zu lange in Untersuchungshaft gehalten, ehe es zu einem Gerichtsverfahren komme. Kritisiert wurde zudem die Definition der „Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit einem terroristischen Vorhaben“. Die Formulierung sei so vage gefasst, dass sie eine große Zahl willkürlicher Festnahmen aufgrund geringster Verdachtsmomente ermögliche: „Personen zu verfolgen, weil sie (irgendwelche) Leute kennen, verletzt grundlegende Rechte.“

Die Regierung wies die Vorwürfe zurück. „Alle unsere Anti-Terror-Gesetze sind eine Antwort auf eine Bedrohung, die Frankreich wiederholt getroffen hat“, erklärte ein Sprecher. „Unsere Maßnahmen unterscheiden sich nicht von denen anderer Länder.“

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