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Wer passt auf mich auf, wenn das Elterngeld wegfällt? Auch das Elternteil, das besser verdient?

© plainpicture/Benjamin Rondel/Bearbeitung: Tagesspiegel

Aufregung um Pläne von Ministerin Paus: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Elterngeld

Bei einem gemeinsamen Einkommen von über 150.000 Euro sollen Eltern künftig keinen Anspruch mehr auf die Förderung haben. Die Details im Überblick.

Wird es in Zukunft kein Elterngeld mehr für Eltern mit hohen Einkünften geben? Was die Bundesfamilienministerin Lisa Paus genau plant, wie Öffentlichkeit und Ampel darauf reagieren und welche Folgen das für wen haben könnte.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es tatsächlich zu der Neuregelung kommt?

Offensichtlich ist schon jetzt eines: Glatt durchgehen wird die Idee von Ministerin Paus nicht. „Unsere Position ist klar, wir lehnen den Vorschlag der Ministerin entschieden ab“, sagt der familienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Matthias Seestern-Pauly.

„Für mich ist nicht verständlich, warum die Ministerin mit dem nun kursierenden Vorschlag die Möglichkeiten für Mittelschichtsfamilien, sich die Carearbeit fair aufzuteilen, signifikant verschlechtern möchte.“ Seestern-Pauly fordert Einsparungen an anderen Stellen innerhalb des Ministeriumsetats. Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr war unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorschlags mit scharfer Kritik in die Offensive gegangen.

Für mich ist nicht verständlich, warum die Ministerin die Möglichkeiten für Mittelschichtsfamilien, sich die Care-Arbeit fair aufzuteilen, signifikant verschlechtern möchte. 

Matthias Seestern-Pauly, familienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Auch Ministerin Paus befürchtet negative Auswirkungen in Sachen Gleichstellung. Doch irgendwo muss sie sparen, und sie hat diesen Weg gewählt, während die Liberalen andere Prioritäten setzen würden.

Auf Twitter posten nun Grüne und Liberale Fotos eigentlich vertraulicher Briefe, die zwischen Finanz- und Familienministerium hin- und hergingen, um sich gegenseitig die Verantwortung zuzuweisen. Innerhalb von nur zwei Tagen ist die Debatte mit Blick auf die innerkoalitionären Umgangsformen entgleist.

Lisa Paus kann die Kürzung nicht eigenmächtig beschließen, denn auf Elterngeld besteht ein gesetzlicher Anspruch. Eine Gesetzesänderung müsste also her, und damit die Stimmen der Koalitionspartnerinnen. Man wird sich einigen müssen.

Zeit für Kinder: Das 2007 in Kraft getretene Elterngeld sollte insbesondere gut Ausgebildete mit hohem Einkommen ermutigen, sich für Kinder zu entscheiden.
Zeit für Kinder: Das 2007 in Kraft getretene Elterngeld sollte insbesondere gut Ausgebildete mit hohem Einkommen ermutigen, sich für Kinder zu entscheiden.

© dpa/Frank_Leonhardt

Womöglich kommen dabei andere Ideen rund ums Thema Elterngeld noch einmal auf den Tisch, zum Beispiel eine Stärkung der Partnerschaftsmonate, die im Koalitionsvertrag verabredet ist. Denkbar, dass SPD und Grüne versuchen werden, die FDP beim Wort zu nehmen, wenn die nun mit der Gleichstellung der Geschlechter argumentiert.

„Wir sollten die Debatte zum Anlass nehmen, das Elterngeld grundsätzlich neu aufzustellen“, sagt Sönke Rix, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. „Die Idee einer Einkommensgrenze von 150.000 Euro lässt sich nicht losgelöst diskutieren.“

Welche gleichstellungspolitischen Auswirkungen wären zu erwarten?

Geht die Änderung zu Lasten von Frauen und auf Kosten der Gleichstellung? Fachleute teilen diese Sorge nicht unbedingt. So zum Beispiel Wido Geis-Thöne, Senior Economist und Experte für Familienpolitik beim Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln. Er erwartet „wenig Auswirkungen auf die Gleichstellung“.

Er argumentiert wie folgt: Verdienen beide Elternteile sehr gut, wird eine Frau ohnehin nicht einfach ihre eigenen beruflichen Interessen hinten anstellen. Lebt hingegen ein Paar ein sehr traditionelles Modell, mit einem Mann mit enorm hohem Einkommen und einer Frau mit sehr geringem Einkommen, kommt es in der Praxis ohnehin nicht vor, dass der Vater in Elternzeit geht. Die 1800 Euro Höchstbetrag beim Elterngeld seien dann schlicht nicht attraktiv.

Allerdings warnt Geis-Thöne auch: „Dies kann sich in den nächsten Jahren grundlegend ändern, sollte die Inflation weiter stark voranschreiten. In diesem Fall würden nämlich immer mehr Paare der gesellschaftlichen Mitte ohne entsprechenden Kaufkraftgewinn über die Grenze von 150.000 Euro rutschen.“

Aus bildungs- und sozialpolitischer Sicht sind Themen wie Kindergrundsicherung und Bafög-Kürzung deutlich problematischer.

Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung

Für „kein gutes Signal“ hält die Idee hingegen Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Sie hält es für denkbar, es könnten „gleichstellungspolitische Fehlanreize gesetzt werden“.

Kohlrausch weist aber auch darauf hin, die Änderung betreffe nur einen relativ kleinen Teil der Eltern. Aus bildungs- und sozialpolitischer Sicht seien Themen wie Kindergrundsicherung und Bafög-Kürzung „deutlich problematischer“. Dort nämlich seien Familien betroffen, „die kaum oder keine finanziellen Spielräume haben und durch die multiplen Krisen der letzten Jahre besonders stark belastet sind“.

Für wen soll das Elterngeld laut Plan gekürzt werden?

Wer Nachwuchs bekommt und deshalb vorübergehend aus dem Beruf aussteigt, bekommt den Lohnausfall zum Teil vom Staat ersetzt: Das ist der Grundgedanke des Elterngeldes, das einst die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) in einer Art politischem Ein-Frau-Projekt gegen große Widerstände durchboxte.

Was im Jahr 2007, als das Elterngeldgesetz in Kraft trat, einer Revolution gleichkam, ist mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden: Die Entscheidung für ein Kind soll nicht mit massiven Einbußen beim Lebensstandard einhergehen. Von Anfang an war die Idee insbesondere, gut Ausgebildete mit hohem Einkommen zur Entscheidung für eigene Kinder zu ermutigen.

Kinderbetreuung statt Arbeit. Der Anspruch auf Elterngeld entfällt für Paare bisher erst dann, wenn sie zusammen mehr als 300.000 Euro zu versteuerndes Einkommen pro Jahr haben.  
Kinderbetreuung statt Arbeit. Der Anspruch auf Elterngeld entfällt für Paare bisher erst dann, wenn sie zusammen mehr als 300.000 Euro zu versteuerndes Einkommen pro Jahr haben.  

© Getty Images/Pavlina Popovska

Nun aber muss Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sparen, und sie hat sich entschieden, das nicht bei den Menschen mit niedrigem, sondern bei jenen mit hohem Einkommen zu tun. Bisher gilt: Der Anspruch auf Elterngeld entfällt für Paare erst dann, wenn sie zusammen mehr als 300.000 Euro zu versteuerndes Einkommen pro Jahr haben.

Das bedeutet, dass das Brutto-Einkommen in aller Regel sogar noch höher liegt. Vom Brutto-Einkommen nämlich können noch diverse Posten abgezogen werden, zum Beispiel Krankenkassen- und Rentenbeiträge, Werbungskosten und Sonderausgaben.

Künftig soll die Grenze bei 150.000 Euro liegen: Wer als Paar mindestens dieses zu versteuernde Einkommen hat, würde beim Elterngeld leer ausgehen. Das entspricht je nach individueller Konstellation ungefähr einem gemeinsamen Brutto-Jahreseinkommen von 180.000 Euro. Nach einer Schätzung des Familienministeriums wären pro Jahr ungefähr 60.000 Familien betroffen. Das wären ungefähr 5,7 Prozent aller Elterngeldbeziehenden. Der Staat würde so 290 Millionen Euro pro Jahr sparen.

Wie viel Geld würde den Paaren verloren gehen?

Der monatliche Höchstbetrag an Elterngeld liegt bei 1800 Euro, wenn eine Mutter oder ein Vater für einige Zeit komplett aus dem Beruf aussteigt, also nicht in Teilzeit weiterarbeitet. Diese maximal 1800 Euro können für 14 Monate bezogen werden, wenn jedes der Elternteile mindestens zwei dieser Monate in Anspruch nimmt. Dann ergäbe sich eine Summe von 25.200 Euro, auf die Gutverdienende in Zukunft ersatzlos verzichten müssten.

Sie müssten dann in der Elternzeit zum Beispiel vom Einkommen des weiterarbeitenden Elternteils leben oder ans Ersparte gehen, wenn sie gemeinsam in Babypause gehen und beispielsweise eine längere gemeinsame Reise unternehmen wollen.

1800
Euro, so viel gibt es höchstens im Monat, wenn eine Mutter oder ein Vater für einige Zeit komplett aus dem Beruf aussteigt, also nicht in Teilzeit weiterarbeitet. Diese maximal 1800 Euro können für 14 Monate bezogen werden, wenn jedes der Elternteile mindestens zwei dieser Monate in Anspruch nimmt. In der Summe ergäbe das 25.200 Euro.

Was ändert sich für Alleinerziehende?

Für Alleinerziehende liegt die Einkommensgrenze bisher bei 250.000 Euro, künftig würde auch für sie die Grenze bei 150.000 Euro zu versteuerndem Einkommen liegen. Die Zahl der Alleinerziehenden, die in diesem Einkommensbereich liegen, ist aber extrem niedrig. Nach Angaben des Familienministeriums läge die Zahl der von der Reform Betroffenen pro Jahr im niedrigen dreistelligen Bereich.

Ab wann könnte die Neuregelung gelten?

Es ist eine der spannenden Fragen, ab wann die Neuregelung gelten soll. Denn schließlich geht es in der derzeitigen Debatte um den Bundeshaushalt 2024. Logischerweise sind Frauen, die in den ersten Monaten des Jahres 2024 ein Kind zur Welt bringen werden, schon jetzt schwanger.

Und auch darüber hinaus stellt sich die Frage, wie viel Vorlauf es der Fairness halber braucht, angesichts der Tatsache, dass die eigene Familien- und Karriereplanung für viele Menschen eine langfristige und grundsätzliche Entscheidung ist.

Das Familienministerium lässt die Frage, wann die Reform greifen soll, bisher offen. „Der Zeitpunkt des Inkrafttretens ist noch nicht klar“, sagt ein Sprecher. Unter dem Stichwort Vertrauens- und Bestandsschutz wird die FDP aller Voraussicht nach darauf bestehen, dass Verschlechterungen für Eltern, die jetzt schon ein Kind erwarten, ausgeschlossen sind.

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