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Wasserdampf zeigt auf aus dem Atomkraftwerk Isar 2.

© IMAGO/Smith / Imago/Smith

Ausstiegsdatum naht: Endet im April tatsächlich das Atomkraftzeitalter in Deutschland?

Nach dem Machtwort des Kanzlers stand er fest: der 15. April als endgültiges Ausstiegsdatum aus der Atomenergie. Doch Union und FDP hoffen noch auf eine Hintertür.

Es war ein hitziger Streit, den sich Grüne und FDP im vergangenen Oktober um den Weiterbetrieb der letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke geliefert hatten. Die Grünen wollten nur zwei weiterlaufen lassen, die FDP alle drei bis 2024.

Schließlich hatte Olaf Scholz von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Per Brief ordnete der Kanzler an: Alle drei der verbleibenden Atommeiler sollten den Winter über am Netz bleiben, um die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Das neue Datum für den endgültigen Atomausstieg: der 15. April 2023.

Nun naht der Termin. In spätestens einem Monat also sollen die Kernkraftwerke heruntergefahren werden. Geht das Atomkraftzeitalter in Deutschland still und leise zu Ende?

Die Union würde das noch immer gern verhindern. CDU und CSU wollen in dieser Woche das Thema noch einmal auf die Tagesordnung des Bundestages bringen und einen Weiterbetrieb der verbliebenen Meiler fordern. „Drei klimaneutrale Kernkraftwerke mitten in der Energiekrise abzuschalten ist ein Fehler“, sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn dem Tagesspiegel. „Die Kernkraftwerke sollten mindestens in der Reserve bleiben, damit man sie im Ernstfall zurückholen kann.“

Brennstäbe-Beschaffung braucht Zeit

Und auch in der FDP gibt es Überlegungen, wie zumindest eine Hintertür offengehalten werden kann. Jüngst erklärte die umweltpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Judith Skudelny, bei einer Diskussionsrunde des DIW in Berlin, die russischen Energielieferungen würden voraussichtlich erst im Frühjahr 2024 in vollem Umfang ersetzt werden können. Im nächsten Winter könne es noch einmal schwierig werden.

„Solange wir nicht hundertprozentig sicher sein können, dass wir gar nicht auf die Kernenergie zurückgreifen müssen, wollen wir, dass diese Kernkraftwerke zumindest im Grundsatz nicht zurückgebaut, sondern einsatzbereit gehalten werden“, sagte sie. Skudelny räumte ein, dass die Beschaffung der für den Betrieb benötigten Brennelemente Zeit brauchen würde. Die FDP Baden-Württemberg hatte Anfang des Jahres die Ampel dazu aufgefordert, die Atomkraftwerke sogar bis 2026 weiterlaufen zu lassen und neue Brennelemente zu bestellen.

Verstärkt Kohle verstromt

„Entscheidend ist für uns die Frage, wie wir eine sichere Energieversorgung zu günstigen Preisen für Wirtschaft und Verbraucher gewährleisten können“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler dem Tagesspiegel. Welchen Beitrag die Kernenergie dazu leisten könne, hänge nicht zuletzt von den aktuell laufenden Untersuchungen ab. Gemeint ist damit die jährliche Bedarfsanalyse der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland. Diese Zahlen sollen spätestens im April vorliegen.

Die Liberalen argumentieren auch mit dem Klima und dem Umstand, dass derzeit verstärkt Kohle verstromt wird, um die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Ein Drittel des 2022 in Deutschland erzeugten und eingespeisten Stroms stammte aus Kohlekraftwerken – 8,4 Prozent mehr als im Vorjahr.

Doch auch wenn die Liberalen die Atommeiler gerne noch bis 2024 weiterlaufen lassen würden – nach dem ganz großen Aufstand der FDP in der Ampel klingt das alles nicht mehr. Dass die Grünen den Beschluss noch einmal aufschnüren, erscheint ohnehin undenkbar. Zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima erklärte die Grünen-Fraktion, es sei ein Fortschritt für die nukleare Sicherheit, dass die letzten drei deutschen AKW am 15. April endgültig vom Netz gingen. „Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie, die sich niemals ganz beherrschen lässt.“ 

„Wir haben ausreichend Kapazitäten“

Bedenken zur Versorgungssicherheit, die der endgültige Atomausstieg mit sich bringt, weist etwa die DIW-Expertin Claudia Kemfert zurück. „Wir haben kein Versorgungsproblem“, sagt sie mit Verweis auf eine DIW-Studie. Die sechs Prozent des Stroms, die die verbliebenen Atomkraftwerke produzierten, könnten mit anderen Komponenten problemlos ersetzt werden. „Wir haben tatsächlich ausreichend Kapazitäten“, sagt Kemfert. Es gebe auch keine Gefahr eines Blackouts.

Dennoch müsse jetzt das Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien vervielfacht werden. Auch die Bundesregierung pocht darauf. Im Schnitt sollen bis 2030 täglich „vier bis fünf Windräder“ an Land hinzukommen, kündigte Kanzler Scholz kürzlich an.

Doch es gibt auch Wissenschaftler, die den Ausstieg sehr kritisch sehen. „Die Kerntechnik hat sich in den letzten Jahren zu einem Spielball der Politik entwickelt“, sagt Sascha Gentes vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der sich mit dem Rückbau kerntechnischer Anlagen beschäftigt. Der Wissenschaftler kann sich bei dem Thema in Rage reden.

Es sei unverständlich, warum in der aktuellen Situation drei „leistungsstarke und zuverlässig laufende“ Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollten – und dann noch gleichzeitig. Währenddessen werde in Deutschlands Nachbarländern weiter auf Kernkraft gesetzt, zum Teil sogar neue AKW gebaut.

Endlager gesucht - für eine Million Jahre

Gentes verweist auch darauf, dass die Suche nach einem Endlager in Deutschland ohnehin noch Jahrzehnte dauern könne. „Das heißt, selbst wenn wir im April die letzten drei Kernkraftwerke abschalten, so werden die Brennelemente hinterher für Jahrzehnte nicht mehr im Reaktor Strom produzieren, sondern in einem Castor gelagert in einer Betonhalle am Ort des ehemaligen Kernkraftwerkes stehen.“ Auch für diese Lagerung werde aber Energie benötigt.

Konsens ist: Mit dem 15. April endet zwar die kommerzielle Nutzung der Atomkraft – aber das Thema wird die Bundesrepublik noch lange beschäftigen. Das Ziel, bis 2031 ein Endlager gefunden zu haben, gilt mittlerweile als nicht mehr zu halten. „Wir stehen weltweit vor der Situation, dass keine nachhaltigen Antworten auf die hochgefährlichen hochradioaktiven Abfälle gegeben werden können“, sagt Wolfram König, der Leiter des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).

Und so werden in Deutschland die 27.000 Kubikmeter radioaktive Abfälle zunächst in 16 Zwischenlagern stehen, um irgendwann in einem Endlager sicher aufbewahrt werden zu können: für nicht weniger als eine Million Jahre.

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