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Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Montag bei seiner Rede während der Bauerndemonstration in Berlin.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Minister bei Bauern-Demo in Berlin : Lindner versucht, die Wogen zu glätten – Bauern „ham die Schnauze voll“

Finanzminister Christian Lindner macht den Landwirten bei deren Demonstration in Berlin ein Angebot – doch die schenken ihm kein Gehör. Ganz im Gegenteil.

Christian Lindner ist gekommen. Immerhin. Als der Bundesfinanzminister ans Mikrofon tritt, wird schnell klar, wie gereizt die Stimmung unter den Landwirten ist. „Rücktritt“-Rufe schallen durch den Tiergarten, Lindners Rede geht in Buhrufen und „Wir ham die Schnauze voll“-Gesängen beinahe unter.

Am Unmut der Landwirte ändert auch nichts, dass Lindner zu Beginn erwähnt, dass der Protest der Bauern „legitim“ und „friedlich“ sei. „Was für ein Unterschied zwischen den Bauern und den Klima-Klebern. Die Klima-Kleber haben das Brandenburger Tor beschmiert, die Bauern haben das Brandenburger Tor geehrt“, sagt der Minister.

Parteien und Medien sollten vor der „linksextremistischen Unterwanderung“ der Klimakleber warnen – statt vor einer rechtsextremen Unterwanderung der Bauernproteste, soll das wohl heißen.

Schon bevor die Kundgebung der Landwirte und Spediteure am Brandenburger Tor beginnt, ist klar, dass Lindner keinen leichten Stand haben wird. Man wolle dem Finanzminister die Chance geben, sich die Reden anzuhören und anschließend selber Stellung zu beziehen, kündigen die Veranstalter an. Bereits zu diesem Zeitpunkt gibt es laute Buh-Rufe.

Tausende sind am Montag nach Berlin gekommen, um ein weiteres Mal gegen die Bundesregierung zu demonstrieren. Im Mittelpunkt stehen die Kürzungspläne zulasten der Landwirte: Bis zum Jahr 2026 sollen die Beihilfen beim Agrardiesel schrittweise gekappt werden.

Aber es sind nicht nur die Landwirte, die mit ihren Traktoren weit im Umkreis des Brandenburger Tores Präsenz zeigen. Auch die Speditionsbranche ist gut sichtbar vertreten. „Maut muss runter, sonst gehen wir unter!“ steht auf einem Lkw, der im Regierungsviertel abgestellt ist.

Den Präsidenten des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, freut das breite Bündnis. „Die Gastronomie ist hier und viele viele mehr“, freut er sich zu Beginn der Kundgebung. Gleichzeitig macht der Bauernpräsident deutlich, dass er sich mit den bisherigen Vorschlägen der Bundesregierung beim Agrardiesel nicht zufriedengeben will. Rukwied fordert die „Rücknahme der Steuererhöhungspläne“. Nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am Donnerstagabend, so erklärt er später, soll über weitere mögliche Aktionen der Landwirte entschieden werden.

Lindner vertritt Regierungslinie

Lindner hingegen muss hier die Haltung der Bundesregierung vertreten, der zufolge es beim Agrardiesel keine weiteren Zugeständnisse geben soll.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, freut sich am Montag über den Zulauf bei der Demonstration der Landwirte.

© dpa/Monika Skolimowska

Lindner versucht daher, das Augenmerk auf andere Aspekte der Wirtschaftslage der Agrarbranche zu lenken. Preissteigerung bei Futter, Strom und Kraftstoff, teure Umwelt- und Klimaauflagen, Fachkräftemangel und bürokratische Auflagen – Lindner äußert Verständnis für den Unmut vieler Landwirte. „Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrardiesels hier sind.“

Man kann über alles sprechen, was die Produktivität der Betriebe stärkt.

Finanzminister Christian Lindner (FDP)

Auch wenn die Ampel-Regierung an der schrittweisen Streichung der Subventionen beim Agrardiesel festhalten will, so macht Lindner ein anderes Angebot: Zug um Zug sollen parallel zum Abschmelzen der Beihilfen auch die Belastungen für die Betriebe verringert werden, schlägt er vor.

Lindners kontroverse Standpunkte

Man könne über alles sprechen, „was die Produktivität der Betriebe stärkt“, so Lindner. Er wolle prüfen, eine steuerfreie Risikorücklage einzurichten und die sogenannte Tarifglättung bei der Einkommensteuer wieder einzuführen – ein Instrument, mit dem steuerliche Nachteile aus Gewinnschwankungen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe ausgeglichen werden.

Über alles sprechen? Zeitgleich zur Bauerndemonstration treffen sich die Ampel-Fraktionschefs mit Vertreterinnen und Vertretern der Bauernverbände. Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender, sagt das Wichtigste zum Schluss: Innerhalb weniger Wochen wolle die Ampel einen Fahrplan entwickeln, der die Landwirtschaft entlaste. Schon bald soll ein Vorschlag dazu schriftlich festgehalten werden. „Wir glauben, stark genug zu sein“, sagt Mützenich. Ein bisschen klingt es, als wolle er sich selbst Mut zusprechen.

Dann sind Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann und der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr an der Reihe. Das Problem, das die Koalition haben wird, wird in diesen Momenten offenbar: Haßelmann spricht sich, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), für eine Tierwohlabgabe aus. Christian Dürr sagt: „Wer unternehmerisch tätig sein will, der will auch fair besteuert werden.“ Es klingt nicht, als meinten sie ähnliche Instrumente.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) befürwortet eine Tierwohlabgabe.

© dpa/Bernd Weißbrod

Auch Lindner spricht die Tierwohlabgabe nicht an, obwohl sie die Lage in der Landwirtschaft verbessern könnte. Es liegt vor allem an Lindners FDP, dass im Bundestag bislang die Pläne die Tierwohlabgabe nicht vorangekommen sind. Gemeint ist damit eine Abgabe auf Fleisch und andere tierische Produkte.

SPD und Grüne befürworten eine Tierwohlabgabe

Mit der Abgabe, die Verbraucherinnen und Verbraucher berappen müssten, könnte der Umbau der Ställe finanziert werden. Bislang ist im Bundeshalt eine Milliarde Euro für einen tierwohlgerechten Umbau der Ställe vorgesehen. Diese Summe wird aber langfristig als nicht ausreichend angesehen. Auch die SPD befürwortet deshalb eine Tierwohlabgabe.

„Schon wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur besser schützen können – so, wie es doch alle verlangen“, sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir der „Süddeutschen Zeitung“. „Wer es wirklich ernst meint mit einer zukunftsfesten Landwirtschaft, muss da endlich springen.“

Die FDP ist mit Blick auf die Tierwohlabgabe zurückhaltend. Die Liberalen wollen zunächst einmal sicherstellen, dass eine solche Mehrbelastung für die Verbraucher mit dem Europarecht vereinbar ist und nicht zu einer Benachteiligung für hiesige Produkte gegenüber Fleischimporten aus dem Ausland führt. Die Erhebung einer Steuer lehnen sie ab.

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Milliarde Euro ist im Bundeshaushalt bislang für einen tierwohlgerechten Umbau der Ställe vorgesehen.

Es gibt noch andere Vorschläge. Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) hat eingebracht, die geplanten Kürzungen der Agrardiesel-Subventionen über einen noch längeren Zeitraum zu strecken, als die Ampel-Regierung es gegenwärtig plant. Gleichzeitig sollen nach dem Vorschlag des Schweriner Landwirtschaftsministers Anreize für die Landwirte geschaffen werden, um auf alternative Kraftstoffe wie Biogas oder Biodiesel umzusteigen.

Im Bundestag sprechen nach den Fraktionsvorsitzenden die Vertreterinnen und Vertreter der Bauern. Einer der Vertreter, Hubertus Paetow, schlägt vor, Pflanzenkraftstoffe geringer zu besteuern. Das Gespräch mit den Fraktionsspitzen, sagen einige Vertreterinnen und Vertreter, sei offen gewesen. Die Politik habe verstanden, wie ernst die Lage sei. Man hört das Hupen der Traktoren auch im Reichstagsgebäude. „Wir haben mitgenommen, dass es Handlungsspielraum in Sachen Agrardiesel gibt“, sagt der Vertreter des Bauernverbands, Bernhard Krüsken. Britta Haßelmann steht wenige Meter entfernt. Sie schüttelt den Kopf.

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