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Viele Kinder in Deutschland sind Opfer von sexuellem Missbrauch.

© imago images/imagebroker

Bekämpfung von Kinderpornografie durch Strafverschärfung: Länder wollen Reform rückgängig machen

2021 hat die große Koalition auf zahlreiche schwere Missbrauchsfälle mit einer Reform reagiert. Etliche Länder zweifeln nun deren Effektivität an.

In den vergangenen Jahren haben immer wieder schockierende Nachrichten über sexuellen Missbrauch an Kindern das Land erschüttert. Lügde, Münster, Bergisch Gladbach und Staufen, um nur einige der drastischsten Fälle zu nennen. Ganze Netzwerke wurden dort aufgedeckt.

Der Gesetzgeber hat darauf reagiert: Seit 2021 wird als Verbrecher bestraft, wer Kinder sexuell misshandelt, Fotos und Bilder davon macht oder solche Aufnahmen verbreitet oder auch nur besitzt.

Als der Bundestag vor einem Jahr das Strafrecht verschärfte, gab es dafür aus der Gesellschaft viel Beifall, bei solchen Taten sind alle für größtmögliche Härte.

2021 wurde das Gesetz gegen Kinderpornografie verschärft

Zumal bis 2021 der Besitz einschlägiger Bilder nur mit einer Höchststrafe von drei Jahren geahndet wurde, das ist weniger als bei Ladendiebstahl.

In ihrem gut gemeinten Eifer ist die große Koalition möglicherweise aber einen Schritt zu weit gegangen: Es wurde nicht nur die Höchststrafe auf zehn Jahre heraufgesetzt, sondern auch die Mindeststrafe auf ein Jahr. Auf einen minderschweren Fall wurde verzichtet.

Ausnahmslos jeder Besitz einschlägiger Fotos gilt als Verbrechen

Nun gilt also ausnahmslos jeder Besitz von Kinderpornografie als Verbrechen. Das heißt konkret: Wer auch nur ein einziges eindeutiges Bild von einem nackten Kind besitzt, kann dafür angeklagt werden und muss vors Schöffengericht.

Für jedes dieser Bilder muss die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen – nun müssen Lehrer:innen, die strafbare Bilder bei Schüler:innen finden, und diese melden wollen, sich vor einer Anklage fürchten, selbst ein Nacktfoto des eigenen Kindes auf dem Handy kann zu Ermittlungen führen.

Das nicht rechtzeitige Löschen eines ungewollt übersandten Bildes mit einem kinderpornografischen wird ebenso bestraft, wie das gezielte Suchen und Downloaden von Bildern im Internet, obschon der Unrechtsgehalt mitnichten vergleichbar ist.

Verbände wie der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Richterbund hatten gewarnt

Strafverfahren, so banal sich der Sachverhalt auch darstellen sollte, können derzeit nicht mehr eingestellt werden, sie werden Staatsanwält:innen massenhaft auf den Schreibtisch gespült. Davor hatten Verbände wie der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Richterbund bereits im Vorfeld gewarnt.

Für die Betroffenen sei das belastend und gehe mit Stigmatisierung einher, sagen Praktiker:innen, darüber hinaus binde es wichtige Kapazitäten, die fehlten, um schwere Sexualverbrechen aufzuklären. Nun plädieren mehrere Länder dafür, die Reform rückgängig zu machen. Federführend sind dabei Brandenburg und Hamburg.

„Die Reform war schlicht an der Praxis vorbei“, sagte Hamburg Justizsenatorin Anna Gallina dem Tagesspiegel. „Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass dieser Straftatbestand so schnell wie möglich überarbeitet wird, damit die Justiz alle Fälle in diesem Bereich effektiv bekämpfen und angemessen sanktionieren kann.“

Die Reform war schlicht an der Praxis vorbei.

Anna Gallina, Justizsenatorin der Stadt Hamburg (Grüne)

Auf der anstehenden Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am in der kommenden Woche könnte ein entsprechender Antrag eine Mehrheit finden.

Die Einordnung aller Begehungsvarianten als Verbrechen, zumal ohne minder schwere Fälle, habe sich nicht bewährt, heißt es in der Beschlussvorlage.

Zustimmung gibt es auch aus der Wissenschaft: „Es machen sich nach § 184b StGB Jugendliche strafbar, die sich ein „krasses“ Foto schicken, auf dem eine sexuell posierende Dreizehnjährige zu sehen ist.

Die Einstufung als Verbrechen ist eindeutig eine Oktave zu hoch für diejenigen, die nur ein Bild schicken oder empfangen.

Tatjana Hörnle, Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität Sicherheit und Recht.

Ebenso alle Empfänger, die das nicht sofort löschen“, sagte Tatjana Hörnle, Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität Sicherheit und Recht in Freiburg, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Thomas-Gabriel Rüdiger ist Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Mehr als die Hälfte der Personen, die im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatisik 2021 wegen Kinderpornografie über das Tatmittel registriert wurden, seien selbst Kinder oder Jugendliche gewesen, sagte er dem Tagesspiegel.

54
Prozent der Tatverdächtigen sind minderjährig.

„Was will man damit erreichen? Die Innenpolitik kann hier zwar auf hohe Aufklärungsquote verweisen, die aber vermutlich zumindest teilweise auch darauf zurückgeführt werden kann, dass ein Minderjähriger in einem WhatsApp-Chat einfacher zu überführen ist als ein 53jährige, der im Darknet aktiv ist.“

Es fehle hier an einer klaren strafrechtlichen Differenzierungsmöglichkeit. „Es müsste ein Weg gefunden werden, um klarer zwischen den Tat- und Tätergruppierungen, die schwerstes Leid an Kindern verursachen und solchen Fallkonstellationen zu unterscheiden, bei denen sich Minderjährige unbeabsichtigt und ohne Unrechtsbewusstsein strafbar machen.“ Alles löse dieselben Ermittlungszwänge aus. „Die Einführung eines minderschweren Falles entspannt die Situation, aber schafft diese nicht ab.“ 

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