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Politik: „Dann fliegt das System in die Luft“

Altbundespräsident Herzog fordert drastische Einschnitte bei Rente, Pflege und Krankenversicherung

Von Hans Monath

Sanftes Werben und einfühlsames Vermitteln sind Roman Herzogs Sache jedenfalls nicht. Mit lauten Warnrufen hatte sich der Arbeitnehmerflügel der CDU schon zu Wort gemeldet, bevor die von dem Altbundespräsidenten geleitete Kommission zur „Zukunft der sozialen Sicherungssysteme“ überhaupt ihre Arbeit beenden konnte. Doch als Herzog am Dienstag in Berlin den Abschlussbericht vorstellte, zeigte er keinerlei Verständnis für die Ängste um eine soziale Schieflage seiner Rettungsvorschläge.

Im Gegenteil: Mit altfränkischer Diktion und Direktheit entfaltete er ein Szenario, in dem eherne Notwendigkeiten und eine bedrohliche Entwicklung der Alterspyramide schmerzhafte Einschnitte bei Rente, Kranken- und Pflegeversicherung unumgänglich machen. Im Verlauf des halben Jahres als Chef der Kommission, der vor allem CDU-Sozialexperten angehörten, sei ihm klar geworden, „dass dieses System wirklich auf der Kippe steht.“ Eine Senkung der Beiträge sei in den kommenden zwanzig Jahren ausgeschlossen, ein Einfrieren des Anstiegs schon ein Riesenerfolg, so Herzog.

Die positiven Botschaften wie Gerechtigkeit zwischen den Generationen und die Entlastung von Familien mit Kindern als Ziel des Umbaus gingen fast unter zwischen Herzogs drastischen Mahnungen. Er warnte davor, dass ohne Gegensteuern ein rasantes Wachsen der Beitragssätze zu einem Kollaps der Sicherungssysteme führen werde. Der ausgleichenden Rolle eines Kommissionschefs, unter dessen Anleitung sich sowohl CDU-Arbeitnehmer wie wirtschaftsliberale Christdemokraten auf gemeinsame Thesen einigen, entsprach Herzogs Auftritt nicht.

Auch markierte der Verfassungsjurist eine deutliche Distanz zu den politischen Akteuren. Ausdrücklich nur den Bürgern bescheinigte der Altbundespräsident, dass ihnen mittlerweile der Ernst der Lage bewusst sei und sie sich den Problemen stellten. Bei den Parteien – und damit offenbar auch bei seiner Auftraggeberin, der CDU, – ist er dagegen noch gar nicht sicher, ob sie schon in der Gegenwart angekommen sind: „Das wird sich herausstellen“, sagte Herzog salopp.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und SPD-Generalsekretär Olaf Scholz wiesen in einer ersten Reaktion den Bericht der Herzog-Kommission als unausgegoren und finanziell unsolide zurück. Bundesregierung und auch Rürup-Kommission hätten ihre Reformarbeit besser erledigt als die Herzog-Kommission, sagte Schmidt.

Dagegen sah sich der Leiter der von der Regierung eingesetzten Sozialreformkommission, Bert Rürup, in seinen Rentenvorschlägen bestätigt. Rürup sagte dem „Handelsblatt“: „Ich begrüße, dass sich die Herzog-Kommission bei der Rente unseren Vorschlägen angenähert und sie teilweise übernommen hat.

Anfang Oktober will der CDU-Bundesvorstand über den Bericht beraten, zwei Monate später soll der Parteitag der Christdemokraten dann Beschlüsse fassen. Parteichefin Angela Merkel sieht schon eine „Riesendiskussion“ auf sich zukommen.

Die komplizierten Berechnungen von Herzogs Experten gehen übrigens nur dann auf, wenn das Wirtschaftswachstum in Deutschland kräftig anzieht. Für den Fall, das die Konjunktur nicht wie erhofft aufblüht, sagt der Altpräsident kurz und bündig voraus: „Dann fliegt das System in die Luft.“

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