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Christian Lindner und Robert Habeck.

© dpa/Kay Nietfeld

Ziemlich beste Feinde: Habeck gegen Lindner – darum geht es bei ihrem Streit wirklich

Im Bundestag herzen sich Robert Habeck und Christian Lindner – doch hinter den Kulissen kracht es schon lange. Die Gasumlage ist nur vordergründig das Problem.

Sie schütteln sich die Hand, lachen herzhaft, unterhalten sich gestenreich, grinsen und klopfen sich zur Verabschiedung freundschaftlich auf die Schulter. Auf der Regierungsbank im Bundestag ist am Donnerstag eine große Vertrautheit zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu beobachten. Es ist ein überraschendes Signal, nach Tagen des Streits.

Habeck und Lindner stellen ihre Herzlichkeit zur Schau. Immer heftiger schien sich der Streit zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister in den vergangenen Tagen zuzuspitzen. Vordergründig geht es dabei um die Gasumlage.

Lindner will, dass Gaskunden ab Oktober zunächst 2,4 Cent pro Kilowattstunde zahlen, um die angeschlagenen Energieversorger zu stützen. Habeck hat spätestens seit der Verstaatlichung des Energieriesen Uniper Zweifel an seiner eigenen Umlage, weil sie wie eine Steuer wirken könnte und favorisiert einen Rettungsschirm aus Steuermitteln.

35 Milliarden Euro würde das wohl kosten, sagte Habeck im Bundestag. Mit der Schuldenbremse, an der Lindner festhält, ist das nicht zu machen – der eigentliche Kern im Streit über die Gasumlage.

Da überinterpretieren Sie die Situation.

Olaf Scholz zum Streit zwischen Lindner und Habeck

So heftig wurde der Dissens, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der zur Vollversammlung der Vereinten Nationen nach New York City gereist war, in den Tagesthemen dazu befragt wurde. Würde die Gasumlage denn nun bleiben, wie Lindner es wolle, oder würde sie aufgehoben, wie Habeck es wolle, fragte Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga den Kanzler.

„Da überinterpretieren Sie die Situation“, sagte Scholz, er klang noch etwas leiser als sonst, „die Gasumlage ist vorgeschlagen worden, vom Wirtschaftsminister und von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden.“ Beide hätten „die gleiche Meinung“, so Scholz.

Habeck hatte Ambitionen auf das Finanzministerium

Es ist nicht das erste Mal, dass Lindner und Habeck aneinandergeraten. Das Verhältnis der beiden galt noch nie als sonderlich herzlich. Mit dem Stil des jeweils anderen können sie wenig anfangen. Zur Hochzeit von Lindner auf Sylt war der Kanzler eingeladen, der Vizekanzler aber nicht.

Während der Koalitionsverhandlungen schien sich Scholz zudem besser mit Lindner zu verstehen als mit Habeck, trotz größerer inhaltlicher Überschneidungen zwischen SPD und Grünen. Die Grünen beobachteten das mit Argwohn.

Lindner und Scholz haben einen guten Draht.

© Kay Nietfeld/dpa

Zudem wäre Habeck gern Finanzminister geworden, er hatte sich vorbereitet. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schlug er vor, die Schuldenbremse um eine Investitionsregel zu ergänzen, dem „Spiegel“ erklärte er, welche finanzpolitischen Fachbücher ihm gefallen. Er ließ wenig Zweifel an seinen Ambitionen. In einer Jamaika-Koalition hätten ihm Union und FDP womöglich das erste Zugriffsrecht lassen müssen.

In der Ampel war für Lindner das Finanzressort überlebenswichtig. Als einer der Gründe für das Scheitern seiner Partei an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl 2013 hat Lindner die falsche Ministeriumswahl in der schwarz- gelben Koalition ausgemacht. Diesen Fehler wollte der FDP-Chef nicht wiederholen.

Zudem erwarten die FDP-Wähler gerade in einer linkeren Koalition von den Liberalen eine solide Haushaltspolitik. Doch wenn man das Finanzministerium nicht besetzt, kann man die Haushaltspolitik nur schwer beeinflussen.

Das Bundesfinanzministerium ist begehrt.

© imago images/Jürgen Ritter

Wie schwierig das Verhältnis der beiden inzwischen ist, zeigt der Streit über die Gasumlage exemplarisch. Im Mai einigte sich die Regierung auf das Instrument, das offiziell aus dem Hause Habeck kam, von Lindner aber wohlwollend aufgenommen wurde – schließlich belastet sie den Haushalt nicht. Die Schuldenbremse wird von dem Instrument also nicht infrage gestellt.

Doch weil sie nach der Verstaatlichung von Uniper zum größten Teil Staatsunternehmen – auch Sefe und VNG stehen vor staatlichen Übernahmen – zu Gute kommt, mehren sich die verfassungsrechtlichen Zweifel an dem Instrument. Die Umlage würde nur von einem Teil der Bevölkerung gezahlt werden und käme de facto einer Steuererhöhung gleich. Habeck und Lindner widersprechen sich in dieser Frage öffentlich. Eine verfassungsrechtliche Prüfung laufe noch, heißt es aus dem Bundesinnenministerium auf Tagesspiegel-Anfrage.

Bei den Grünen fehlt es leider gelegentlich an Verlässlichkeit und Verbindlichkeit.

Ein FDP-Abgeordneter

Es sind nicht nur die beiden Spitzenmänner, die einander misstrauisch beäugen. Die Fraktionen pflegen eine unterschiedliche Kultur. Die FDP wird von Lindner strenger geführt, die Grünen neigen zu einer mitunter ausschweifenden Diskussionskultur. „Bei den Grünen fehlt es leider gelegentlich an Verlässlichkeit und Verbindlichkeit“, beschwert sich ein FDP-Abgeordneter, „wenn man einen Kompromiss mit ihnen mühsam erarbeitet hat, kann es sein, dass er drei Tage später schon wieder aufgekündigt wird“.

Die Grünen sehen in der FDP dagegen eine stark ideologisierte Partei, die mitunter beinharte Oppositionsarbeit in der Regierung betreibe. Lange haben sich die Grünen-Abgeordneten mit Kritik zurückgehalten, um die Liberalen in der Ampel zu halten – und aus Rücksicht wegen der schwachen Umfrage- und Wahlergebnisse. Doch seit die Liberalen Habeck ins Visier nehmen, ist das Verhältnis belastet.

Beäugen sich argwöhnisch.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die SPD gefällt sich als Schlichterin. Dabei ist ihr diese Rolle nicht dauerhaft vergönnt. Je länger die Legislaturperiode dauert, desto näher rückt die nächste Wahl. Die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass ein Dreikampf um die Kanzlerschaft zwischen Union, SPD und Grünen auch bei der Bundestagswahl 2025 wahrscheinlich ist. Sollte der Kanzlerkandidat der Grünen Robert Habeck heißen, dürfte dies das Verhältnis zwischen Kanzler und Vizekanzler deutlich belasten.

Vielleicht finden Habeck und Lindner auch allein zu einem Kompromiss. Kurz nachdem Lindner den Saal verlassen hat, tritt Habeck ans Rednerpult. Er hält ein leidenschaftliches Plädoyer zur Rettung der Wirtschaft. „Wir sind in einer Situation, in der die Unternehmen unsere Unterstützung brauchen, um die ökonomische Substanz in Deutschland zu schützen“, sagt der Vizekanzler. Mit dem Sondervermögen habe die Regierung zur Landesverteidigung ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro aufgelegt. Nun brauche es die gleiche Entschlossenheit zur Verteidigung der Volkswirtschaft.

100 Milliarden für die Wirtschaft? Mit der Schuldenbremse nicht vereinbar, doch mit einem neuen Sondervermögen, das den Haushalt nicht direkt belastet, könnte es eine Brücke für die Liberalen werden. Vielleicht sind die vertrauten Szenen auf der Regierungsbank doch nicht nur Show.

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