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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußert sich bei einer Pressekonferenz.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

„Doppel-Wumms“ in der Kritik: „Scholz hat das 200-Milliarden-Paket gegenüber EU-Partnern lausig kommuniziert“

Der Europa-Sprecher der Unionsfraktion, Gunther Krichbaum, versteht den Ärger in der EU über Deutschlands Gaspreisbremse. Er ist für einen gemeinsamen Einkauf.

Herr Krichbaum, die 200-Milliarden-Gaspreisbremse der Bundesregierung kommt bei vielen EU-Partnern nicht gut an. Das dürfte auch beim EU-Gipfel am Freitag deutlich werden. Verhält sich Deutschland unsolidarisch?
Einerseits ist es nachvollziehbar, dass angesichts der hohen Gaspreise jeder Mitgliedstaat in der EU zunächst einmal nach Lösungen sucht, um die eigene Bevölkerung und Wirtschaft zu entlasten. Aber anderseits hat Kanzler Olaf Scholz das 200-Milliarden-Paket gegenüber den EU-Partnern lausig kommuniziert. Noch vor drei Wochen hatten sich die EU-Staaten zugesagt, weitere nationale Maßnahmen im Vorfeld abzusprechen, doch das hat die Bundesregierung nicht getan. Daher ist die Verärgerung in vielen europäischen Hauptstädten nicht verwunderlich.

Gunther Krichbaum im Bundestag.

© Foto: Imago Images/Future Image/C. Hardt

Wäre eine europäische Lösung besser als der deutsche Alleingang?
EU-Kommissionschefin von der Leyen hat bereits einen gemeinsamen europäischen Gaseinkauf vorgeschlagen. Das würde die Preise ebenfalls nach unten bringen, aber eben für alle Bürger und alle Unternehmen in der EU. Leider sind wir hier aber bislang noch nicht vorangekommen.

Muss es einen Preisdeckel allein für Gasimporte aus Russland geben?
Die Idee klingt zunächst sympathisch. Denn Russland macht mit dem von ihm verursachten Krieg derzeit Kasse, weil die Preise für Öl und Gas in die Höhe geschnellt sind. Aber ich fürchte, dass dann viele Umgehungswege über Drittländer gefunden werden und der Preisdeckel letztlich keine große Wirkung entfaltet.  

Als der deutsche „Doppel-Wumms“ für niedrigere Gaspreise bekannt wurde, meldete sich als Erster Italiens scheidender Regierungschef Mario Draghi mit Kritik zu Wort. Ist er mit seinem Unmut über die massiven deutschen Staatshilfen im Recht?
In Teilen ist die Kritik überzogen, die aus Italien an der deutschen Gaspreisbremse zu hören ist. Man sollte nicht vergessen, dass die Benzinpreise in Italien schon seit April von der Regierung auf einem niedrigen Niveau gehalten werden. Italien war hier also früher dran als Deutschland. Aber aus meiner Sicht gibt es einen anderen Punkt in der deutschen Energiepolitik, der aus Sicht der EU-Partner zu Recht kritikwürdig ist.

Und zwar?
Im europäischen Ausland versteht niemand, was hierzulande mit dem Streckbetrieb für die beiden Akws Isar 2 und Neckarwestheim geplant ist. Andere EU-Länder erwarten zu Recht von uns, dass auch wir alles dafür tun, dass das Stromangebot im Winter so hoch wie möglich ist. Deshalb muss der Deckel auf Biomasse fallen und deshalb müssen auch die sicheren deutschen Kernkraftwerke ihren Beitrag leisten. Nur ein höheres Stromangebot kann zu einer spürbaren Senkung der Preise im europäischen Verbundnetz führen.

Der von der Bundesregierung geplante Weiterbetrieb von nur zwei Atomkraftwerken über das Jahresende hinaus ist dafür nicht ausreichend. Es wäre wichtig, alle drei Akws – also auch die Anlage im Emsland – voll am Netz zu lassen, nicht nur im Streckbetrieb. Dafür müssen jetzt die nötigen Brennstäbe geordert werden.

Wie anfällig die Atomindustrie ist, zeigt sich andererseits in Frankreich. Dort ist derzeit die Hälfte der Reaktoren außer Betrieb. Der Ausfall bei den französischen Kraftwerken könnte auch in Deutschland das Gas, das wegen des französischen Engpasses verstromt werden muss, knapp werden lassen. Hält das deutsch-französische Verhältnis das aus?
15 Prozent des Gases in Deutschland wird aktuell verstromt. Das ist in der gegenwärtigen Situation ziemlich widersinnig. Ein Grund hierfür ist, dass Frankreich derzeit als Stromexporteur ausfällt.

Dort ist sehr viel zusammengekommen: Erst legte die Corona-Pandemie zahlreiche Wartungsteams in den Kernkraftwerken lahm. Dann kam im vergangenen Sommer die Dürre, welche die Kühlung der Kraftwerke erschwerte. Das wird sich aber wieder ändern. Die Regierung in Frankreich hält sich bedeckt, ob es schon Ende des Jahres so weit ist.

Die Hälfte der Kernreaktoren in Frankreich sind derzeit außer Betrieb.

© Foto: dpa/Christophe Karaba

Wenn die Lage bei der Energieversorgung derart angespannt ist, braucht es dann eine erneute gemeinsame Schuldenaufnahme in Europa, wie es sie seinerzeit mit dem Corona-Wiederaufbaufonds gab?
Ich bin strikt gegen eine neuerliche Schuldenaufnahme auf EU-Ebene. Als der Corona-Hilfsfonds geschaffen wurde, waren sich alle einig, dass es sich um eine einmalige Maßnahme für eine völlig unabsehbare Pandemie handelt. Wenn man jetzt ein ähnliches Instrument auflegen würde, wäre man mitten in der Schuldenunion.

Vor einigen Monaten kam die Idee auf, den Wiederaufbau in der Ukraine über gemeinsame EU-Schulden zu finanzieren.
Auch das wäre der falsche Weg. Sinnvoller wäre es, die notwendigen Mittel für den Wiederaufbau mit einer Geberkonferenz zu mobilisieren.

Die Ukraine gehört zu den Ländern, die am Donnerstag beim Gründungsgipfel der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ eingeladen sind. Das neue Gremium – eine Initiative des französischen Präsidenten Macron – umfasst mehr als 40 Staaten. Kritiker monieren, dass Macrons Initiative eigentlich das Ziel hat, Länder wie die Ukraine vor einer EU-Mitgliedschaft möglichst lange hinzuhalten. Teilen Sie die Kritik?
Nein. Ich halte Macrons Vorstoß ausdrücklich für richtig. Man darf nicht vergessen, dass das EU-Beitrittsverfahren für die Ukraine, Moldau und perspektivisch auch für Georgien viele Jahre dauern wird. Dasselbe gilt beispielsweise für Albanien, das ebenfalls zu den teilnehmenden Staaten beim Gipfel der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ gehört.

Hier rechne ich mit einem zwölf- bis 15-jährigen Beitrittsprozess. Wenn wir von derart langen Fristen reden, dann müssen wir gemeinsam mit den Beitrittskandidaten ein glaubwürdiges Modell entwickeln, das deutlich macht, dass sie bereits heute ein Teil Europas sind. Ansonsten ebnen wir anderen globalen Akteuren den Weg.

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